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Die Aufgabe der Schule

«Bil­dung durch Schul­bil­dung» – Teil IV
Viert­er Teil der kleinen Serie über
die
gesellschaftliche Funk­tion der Schul­bil­dung für
die soziale Insti­tu­tion “Bil­dung” all­ge­mein;
und über die öster­re­ichis­che Schul­bil­dung im Speziellen.

Wozu ist die Schule da? Das ist die per­fek­te Eröff­nung für ein beliebtes Frage-Antwort-Spiel pub­lizieren­der Päd­a­gogIn­nen und päd­a­gogisieren­der Pub­lizistIn­nen. Man nehme die Frage Wozu ist die Schule da? als Titel und Ein­leitung zur eige­nen Erörterung und belehre sein Pub­likum sodann nach eigen­em Gut­dünken.
Wahlweise kann auch die Frage Was ist den die Auf­gabe der Schule? zur eige­nen Steil­vor­lage dienen, die dann elo­quent über­nom­men wer­den sollte, um sein­er­seits (oder ihrer­seits) zum Besten zu geben, welche Auf­gabe der Schule denn nun wirk­lich zukommt. Die ein­lei­t­ende Frage nach Sinn und Auf­gabe der Schule ist bei allen Vorträ­gen, Zeitungskom­mentaren oder ganzen Büch­ern dabei aus­nahm­s­los immer eine rhetorische. Und sie wird nach eigen­em Gut­dünken beant­wortet. Mal oft eso­ter­isch, mal streng, mal hil­f­los dümm­lich.

Die Auf­gabe der Schule
Eine Def­i­n­i­tion der Auf­gabe der Schule haben wir noch im let­zte Teil zu den Werten des Wahren, Schö­nen und Guten berührt. Kom­men wir zurück zum Wort­laut des Geset­zes. Dies­mal sei der ganze Abschnitt voll­ständig zitiert.
Der Para­graf 2 des SchuOG, mit dem der Geset­zge­ber die Auf­gabe der öster­re­ichis­chen Schule fes­tlegt. Ich mache mir selb­st die Freude von Her­vorhe­bun­gen:

(1) Die öster­re­ichis­che Schule hat die Auf­gabe, an der Entwick­lung der Anla­gen der Jugend nach den sit­tlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schö­nen durch einen ihrer Entwick­lungsstufe und ihrem Bil­dungsweg entsprechen­den Unter­richt mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den kün­fti­gen Beruf erforder­lichen Wis­sen und Kön­nen auszus­tat­ten und zum selb­st­täti­gen Bil­dungser­werb zu erziehen.
Die jun­gen Men­schen sollen zu gesun­den, arbeit­stüchti­gen, pflicht­treuen und ver­ant­wor­tungs­be­wußten Gliedern der Gesellschaft und Bürg­ern der demokratis­chen und bun­desstaatlichen Repub­lik Öster­re­ich herange­bildet wer­den. Sie sollen zu selb­ständi­gem Urteil und sozialem Ver­ständ­nis geführt, dem poli­tis­chen und weltan­schaulichen Denken ander­er aufgeschlossen sowie befähigt wer­den, am Wirtschafts- und Kul­turleben Öster­re­ichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Frei­heits- und Friedensliebe an den gemein­samen Auf­gaben der Men­schheit mitzuwirken.

Wir sehen, es han­delt sich bei diesem Geset­zes­text um ein Leit­bild, um das, was heute über­all nur mehr ‘Mis­sion State­ment’ heißt (klar, engl. für ‘Leit­bild’), die ide­ol­o­gis­che Vis­itenkarte.

Der Geset­zes­text ist punk­to der For­mulierung vl. ziem­lich ver­al­tet. Inhaltlich ist er gle­ich­falls etwas anachro­nis­tisch. Das liegt am Alter des SchuOG, aber das habe ich im let­zten Beitrag bere­its gewürdigt.
Umgekehrt sind ver­gle­ich­bare Geset­zes­texte mit der Funk­tion Mis­sion State­ment von der Art her nicht so anders, selb­st wenn sie deut­lich jün­geren Beschluss­da­tums sind. Hier etwa der entsprechende Para­graph des Schulge­set­zes für Berlin (SchulG): ((Schul­recht ist in Deutsch­land Län­der­sache, die Län­der haben Kul­tushoheit. Aus diesem Grund ist die Posi­tion des Bun­desmin­is­teri­ums für Bil­dung gegenüber den Kul­tus­min­is­te­rien der Län­der eine recht schwache. Übri­gens Schulge­set­ze auf Lan­desebene gibt es in Öster­re­ich trotz­dem auch immer noch.))

§ 1 [Auf­gabe der Schule]
Auf­gabe der Schule ist es, alle wertvollen Anla­gen der Kinder und Jugendlichen zur vollen Ent­fal­tung zu brin­gen und ihnen ein Höch­st­maß an Urteil­skraft, gründlich­es Wis­sen und Kön­nen zu ver­mit­teln. Ziel muß die Her­an­bil­dung von Per­sön­lichkeit­en sein, welche fähig sind, der Ide­olo­gie des Nation­al­sozial­is­mus und allen anderen zur Gewaltherrschaft streben­den poli­tis­chen Lehren entsch­ieden ent­ge­gen­zutreten sowie das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grund­lage der Demokratie, des Friedens, der Frei­heit, der Men­schen­würde und der Gle­ich­berech­ti­gung der Geschlechter zu gestal­ten. Diese Per­sön­lichkeit­en müssen sich der Ver­ant­wor­tung gegenüber der All­ge­mein­heit bewußt sein, und ihre Hal­tung muß bes­timmt wer­den von der Anerken­nung der Gle­ich­berech­ti­gung aller Men­schen, von der Achtung vor jed­er ehrlichen Überzeu­gung und von der Anerken­nung der Notwendigkeit ein­er fortschrit­tlichen Gestal­tung der gesellschaftlichen Ver­hält­nisse sowie ein­er friedlichen Ver­ständi­gung der Völk­er. Dabei sollen die Antike, das Chris­ten­tum und die für die Entwick­lung zum Human­is­mus, zur Frei­heit und zur Demokratie wesentlichen gesellschaftlichen Bewe­gun­gen ihren Platz find­en.

Eins hab ich noch, eins hab ich noch. Nach dem Rhyth­mus alt (öster­re­ichis­ches: 1962), neuer (Berlin: 1980), noch neuer fol­gt ein weit­eres Beispiel, das schon nicht mehr nur jün­geren Datums ist, son­dern mit dem Entste­hungs­da­tum 2005 qua­si wirk­lich ‘jet­zt! brand­neu!’. Das Schulge­setz von Nor­drhein-Fes­t­falen: ((Der Para­graph 2 zu den Aufträ­gen der Schule umfasst im Ganzen 12!! Artikel. Bei dem Abdruck hier an dieser Stelle sind also nur die ersten Sätze zitiert.))

§ 2 Bil­dungs- und Erziehungsauf­trag der Schule
(1) Die Schule unter­richtet und erzieht junge Men­schen auf der Grund­lage des Grundge­set­zes und der Lan­desver­fas­sung. Sie ver­wirk­licht die in Artikel 7 der Lan­desver­fas­sung bes­timmten all­ge­meinen Bil­dungs- und Erziehungsziele.
(2) Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Men­schen und Bere­itschaft zum sozialen Han­deln zu weck­en, ist vornehm­stes Ziel der Erziehung. Die Jugend soll erzo­gen wer­den im Geist der Men­schlichkeit, der Demokratie und der Frei­heit, zur Duld­samkeit und zur Achtung vor der Überzeu­gung des anderen, zur Ver­ant­wor­tung für Tiere und die Erhal­tung der natür­lichen Lebens­grund­la­gen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völk­erge­mein­schaft und zur Friedens­gesin­nung.
(3) Die Schule achtet das Erziehungsrecht der Eltern. Schule und Eltern wirken bei der Ver­wirk­lichung der Bil­dungs- und Erziehungsziele part­ner­schaftlich zusam­men.
(4) Die Schule ver­mit­telt die zur Erfül­lung ihres Bil­dungs- und Erziehungsauf­trags erforder­lichen Ken­nt­nisse, Fähigkeit­en, Fer­tigkeit­en und Werthal­tun­gen und berück­sichtigt dabei die indi­vidu­ellen Voraus­set­zun­gen der Schü­lerin­nen und Schüler. …

Drei Beispiele für die geset­zliche Festschrei­bung der Auf­gabe der Schule. Nun wis­sen wir alle, was in einem Mis­sion State­ment ste­ht muss nicht allzu viel mit der Real­ität zu tun haben. Wir kön­nten die obi­gen geset­zlich fest­geschriebe­nen Nor­men (Soll-Sätze) ander­seits als Absicht­serk­lärung des Geset­zge­bers und der geset­zgeben­den Poli­tik­erIn­nen lesen. Was meine ich damit?

Solche Mis­sion State­ments in Geset­zen haben in ein­er gewis­sen Hin­sicht viel mit der Real­ität zu tun, mit ein­er poli­tis­chen Real­ität. Sie sind les­bar als Aus­druck des poli­tis­chen Wil­lens und des Gesellschaftsver­ständ­niss­es der Kräfte, die zum Zeit­punkt der Ausar­beitung und Ver­ab­schiedung von Geset­zen “an der Macht” waren. Sie demon­stri­eren vor allem im Ver­gle­ich etwas vom Zeit­geist, der herrschte, als ein Gesetz in Kraft trat. ((Fügen wir die Begriffe ‘Zeit­geist’ und ‘herrschen’ zusam­men, so haben wir den herrschen­den Zeit­geist. In Anlehnung an Gram­sci nen­nt man das kul­turelle Hege­monie.))
Ich möchte in diesem Beitrag gle­ich eine ver­gle­ichende Analyse der drei Para­graphen aus den drei Geset­zen von 1962, 1980 und 2006 anbi­eten, vorher allerd­ings noch grund­sät­zlich­es …

Vom Sollen und Wollen
Geset­ze sind Samm­lun­gen von Nor­men, von soge­nan­nte nor­ma­tiv­en Sätzen, auch als Soll-Sätze beze­ich­net. Also Sätze der Art wie

Du sollst den Tag des Her­rn heili­gen.

oder

Man sollte 2x am Tag (eine halbe Stunde nach dem Essen) gründlich Zähne putzen mit Zahn­bürste, Paste und Wass­er, beson­ders abends vor dem Schlafen gehen. Darüber hin­aus soll man 2 x im Jahr zur zah­närztlichen Unter­suchung.

Soll-Sätze for­mulieren einen Wun­sch bzw. ein wün­schenswertes Ver­hal­ten, eine Vorschrift, eine Forderung, eine Zielvorstel­lung, einen Auf­trag, … einen Leit­satz, der für eine Gruppe von Per­so­n­en oder für Alle als Norm her­hal­ten soll, was sein soll.

An Nor­men sollen und kön­nen Wirk­lichkeit­en bemessen wer­den. Das, was tat­säch­lich ist, das wird in deskrip­tiv­en Sätzen, in beschreiben­den Sätzen aus­ge­drückt. Während nor­ma­tive Sätze immer einen Wun­sch und Anspruch an die Wirk­lichkeit for­mulieren, während der Men­sch in nor­ma­tiv­en Sätzen also fes­tlegt, was sein soll, beschreiben die deskrip­tiv­en Sätze das, was wirk­lich wirk­lich ist. ((Und im Wort wirk­lich sehen wir Nähe nicht nur zum Begriff der Wirk­lichkeit son­dern auch zur Wirkung. Ange­wandt auch unsere Geset­zes­texte ist vl. zu fra­gen, erstens, welche Wirkung haben die geset­zlich fest­gelegten Nor­men und zweit­ens, welche Wirkung hat das, was im Gesetz behan­delt ist tat­säch­lich?))

Soll-Satz: Am Son­ntag sollen Geschäfte zu haben. Weit­er­hin.
‘Ist’-Satz: In definierten touris­tis­chen Zen­tren des Lan­des dür­fen Geschäfte auch an Son­nta­gen offen hal­ten.

Anspruch und Wirk­lichkeit

Der Unter­schied zwis­chen Soll-Sätzen ein­er­seits und ein­er empirisch erfass­baren (vul­go: sinnlich erfahrbaren) und beschreib­baren Wirk­lichkeit ander­er­seits ist nicht schwierig zu ver­ste­hen. Und das ein Soll-Satz noch lange keine tat­säch­liche Ver­wirk­lichung nachzieht, dass ist uns allen klar. Den­noch kom­men uns allen die unter­schiedlich zu bew­er­tenden Ebe­nen von Anspruch und Wirk­lichkeit ständig ins Gehege, spätestens, wenn wir poli­tis­che Debat­ten ver­fol­gen oder uns an solchen beteili­gen.

Nehmen wir kurz Anspruch und Wirk­lichkeit bezüglich der Auf­gabe der Schule ins Visi­er. Dabei soll es sich nur um eine Vorschau han­deln, denn mit Anspruch und Wirk­lichkeit wird sich diese Serie noch öfter und genauer auseinan­der­set­zen.

Kommt die Schule ihren geset­zlich for­mulierten Auf­gaben nach? Sehen wir uns ein paar Soll-Sätze an. Jede® mag selb­st urteilen:

Und? Kom­men wir alle zu gle­ichen Ergeb­nis­sen? Oder nur ähn­lichen? Die Frage ist wohl auch, wie weit ein solch­er Real­i­ty­check sin­nvoll ist.

Welche Art der Erken­nt­nis kann die Beant­wor­tung der Frage brin­gen, ob die nor­ma­tiv fest­gestellte Auf­gabe der Schule ‘in Wirk­lichkeit’ erfüllt wird, die Anla­gen der Jugend best­möglich zu entwick­eln. Keine. Außer es han­delt sich um eine ganze lange und dif­feren­zierte, ihre Aus­sagen gut fundierende Abhand­lung. Und selb­st dann hät­ten wir keine Antwort, die einen klaren ‘Ja-oderNein’-Schluss zu ließe.

Getren­nte Analy­sen
Deskrip­tive Sätze sind gefragt. Empirische Forschung. Auf Fak­ten basierende Analy­sen. Bestand­sauf­nah­men, was die Wirkung von Schule ist. Die Beschrei­bung der Wirk­lichkeit hat – und das ist jet­zt wichtig – im ersten Schritt los­gelöst und unab­hängig von den nor­ma­tiv­en Ansprüchen zu erfol­gen. Geschieht dies nicht, so spie­len immer Erwartungs- und Werthal­tun­gen (die Ansprüche) mas­siv verz­er­rend in die Beschrei­bung der Wirk­lichkeit hinein.
Ein Beispiel gefäl­lig?

In einem Inter­view mit dem Wochen­magazin Pro­fil wur­den Sie vor ein­er Woche mit der Tat­sache kon­fron­tiert, dass Bil­dung in Öster­re­ich vor allem eine Frage der Herkun­ft sei und gefragt, wie man dies aus­gle­ichen kön­nte. Darauf antworteten Sie “Ich war als Bauern­sohn im Gym­na­si­um. Ich glaube nicht, dass wir soziale Bar­ri­eren im Schul­sys­tem haben”. Sie sind also allen Ern­stes der Mei­n­ung, mit Ihrem Einzelschick­sal als Schüler aktuelle sta­tis­tis­che Fak­ten ein­fach wegar­gu­men­tieren zu kön­nen?

… ‘derStandard.at’-User im Chat mit Josef Pröll

Darauf Min­is­ter Pröll, vom Online-Stan­dard als Leit­er der ÖVP-Per­spek­tiven­gruppe in den Chat geladen und als solch­er die Per­spek­tive der ÖVP(?) wiedergebend. *hüs­tel*:

Mein “Schick­sal” ist ein Beispiel für viele. Es gibt keine soziale Bar­riere in unserem Schul­sys­tem. Wir müssen es weit­er­en­twick­eln um jeden Kind nach seinen Nei­gun­gen und Eig­nun­gen das Beste zu ermöglichen. Nicht das Gle­iche für alle son­dern das Beste für jeden muss Leit­satz eine dif­feren­zierten und durch­läs­si­gen Schulmod­ells sein. ((Das öster­re­ichis­che Schul­sys­tem weist nach­weis­lich und BEWIESEN­ER­MAßEN keine soziale Bar­riere auf und wirkt an kein­er Stelle und in keinem Fall so, dass von sozialen Bar­ri­eren gesprochen wer­den kann, weil … son­st wäre ja nichts aus dem Pröll Joschi gewor­den. Heißt, aus dem Pröll Joschi hätt’ nichts wer­den kön­nen, wenn unser öster­re­ichis­ches Schul­sys­tem an irgen­dein­er Stelle für irgend­je­man­den in irgen­deinem Fall sozial selek­tiv wirken würde. Welch zwin­gende Logik. Ist das vertrot­telt?))

Was ler­nen wir daraus. (Ok, viel! Und nichts, was nicht schon bekan­nt wäre. Zugegeben, das Beispiel ist vl. ein bißchen fehl am Platz, aber ich musste das unter­brin­gen. Sor­ry. Ich musste! Ahh.) Ich belasse es dabei, dass Anspruch und Wirk­lichkeit nicht allein zwei Paar Schuh’ sind, son­dern sich schnell mal in die Quere kom­men kön­nen.

Im näch­sten Teil dieser Serie über Bil­dung wird es daher in Abgren­zung von den nor­ma­tiv fest­gelegten Auf­gaben der Schule dann um die Beschrei­bung der “tat­säch­lichen” gesellschaftlichen Funk­tion der Schule gehen.
Und damit kehre ich zu den Geset­zes­tex­ten und zur nor­ma­tiv­en Fes­tle­gung der Auf­gabe der Schule zurück:

Ver­gle­ich der Geset­zes­texte
Ich habe oben die These for­muliert, dass die Mis­sion State­ments aus­drück­enden Para­graphen der Geset­zes­texte in der Regel einen vorherrschen­den Zeit­geist illus­tri­eren. Daraus abgeleit­et müsste ich sagen:
Das öster­re­ichis­che SchuOG verdeut­licht das hege­mo­ni­ale Gesellschaftsver­ständ­nis der 1950er und 60er Jahre, das berlin­er SchulG von 1980 drückt noch jenes der 1970er Jahre aus und jenes für Nor­drhein-West­falen spricht Bände für die heute vorherrschende kul­turelle Hege­monie. Sehen wir uns die Kon­stan­ten und die Unter­schiede an.

Religiöse Werte, das Chris­ten­tum und die Erfurcht vor Gott
Alle drei Geset­zes­texte ver­ankern das The­ma ‘Reli­gion’ zen­tral unter die Auf­gaben der Schule, allerd­ings jew­eils unter­schiedlich.

Unser SchuOG for­muliert ganz in der Tra­di­tion des christlich-sozialen Bil­dungs­bürg­er­tums, wenn von sit­tlichen, religiösen und sozialen Werten gesprochen wird. Die Vor­rang­stel­lung des Dreige­stirns der Werte des Wahren, Guten und Schö­nen ver­weist darüber hin­aus auf eine konkrete abendländis­che philosophis­che Tra­di­tion, die christlich definiert ist. Die Formel von den Gliedern der Gesellschaft gehört ganz ein­deutig in die katholis­chen Soziallehre.

Im berlin­er SchulG sind, behaupte ich, die Auswirkun­gen der Bil­dungs­de­bat­ten und ‑refor­men zu bemerken. Im let­zten Satz wer­den Antike und Chris­ten­tum erwäh­nt als han­dle es sich um eine ange­hängte Klarstel­lung. Antike und Chris­ten­tum bilden hier nicht mehr die Basis unseres mit­teleu­ropäis­chen Bil­dungsver­ständ­niss­es (wie das aus dem öster­re­ichis­chen Text sehr wohl her­auszule­sen ist). Im Gegen­teil, ihre Rel­e­vanz wird reduziert und einge­gren­zt auf ihre Beiträge für die Entwick­lung zum Human­is­mus, zur Frei­heit und zur Demokratie.

Im SchulG für NRW lässt sich sowohl der kon­ser­v­a­tive Back­lash als auch die europäis­che Wert­ede­bat­te able­sen, die seit Jahren in Abwehr eines türkischen EU-Beitritts geführt wird. An allererster Stelle ste­ht die Erfurcht vor Gott! Blas­phemie wird unter Strafe gestellt? Ehrfurcht vor Gott. Keine christlichen religösen Werte, die durch die Schule ver­mit­telt wer­den sollen. Kein Beken­nt­nis zur christlich-abendländis­chen Geschichte, der im schulis­chen Unter­richt eine her­vor­ra­gende Rolle zukom­men soll. Nein, die Schule soll zu Erfurcht vor Gott erziehen. Und in weit­er­er Folge auch – kommt das nur mir wie ein Zugeständ­nis vor? – zur Duld­samkeit und zur Achtung vor der Überzeu­gung des anderen.

Die Glieder der Gesellschaft und die gesellschaftlichen Ver­hält­nisse
Die Jugend soll in der Schule zu Gliedern der Gesellschaft erzo­gen wer­den, darin sind sich die drei Texte einig. D.h., durch die Schule soll aus der Masse der ihr über­ant­worteten Kinder und Jugendlichen die dif­feren­zierte Gesellschaft der für die All­ge­mein­heit wertvoller Indi­viduen herange­bildet wer­den.
Die Schule ist nicht für das Indi­vidu­um da son­dern für die All­ge­mein­heit. Das wird an solchen Stellen glasklar und das war in der his­torischen Entwick­lung immer so, ist heute so, wird so bleiben.

Was sich nun in den Mis­sion State­ments abwe­icht, das sind die Vorstel­lun­gen von dem, was ein wertvolles Indi­vidu­um mit­brin­gen muss und die Def­i­n­i­tion dessen, was die All­ge­mein­heit ist.

Das SchuOG wün­scht, es mögen arbeit­stüchtige, pflicht­treue und ver­ant­wor­tungs­be­wusste Glieder der Gesellschaft durch die Schule geschaf­fen wer­den. Hier zeigt sich im Text aus den frühen 1960er Jahren noch das Gesellschafts­bild der Unterord­nung des Indi­vidu­ums unter die Gemein­schaft vor. Diese Gemein­schaft, das ist zuerst eine katholis­che Gemein­schaft, worauf einige Formeln ver­weisen (siehe oben) und außer­dem der Staat, die demokratis­che und bun­desstaatliche Repub­lik Öster­re­ich, mit ihrer Wirtschaft und Kul­tur. ((In der Summe der For­mulierun­gen und Sätze würde ich sagen, dass hier ein im Kern auf die hegelsche Recht­slehre zurück­greifend­es Ide­al­bild vom Staat, der Kirche und dem pflicht­be­wussten Bürg­er geze­ich­net wird.))

Das Schulge­setz für Berlin stellt die Kinder und Jugendlichen und deren Entwick­lung zu Per­sön­lichkeit­en in den Vorder­grund. Staat und Gesellschaft kom­men nur als staatlich­es und gesellschaftlich­es ‘Leben’ vor, von der Nation, dem Volk, der Heimat oder der Kul­tur wird nicht gesprochen.
Für das staatliche und gesellschaftliche Leben sollen Per­sön­lichkeit­en erzo­gen wer­den, die dieses Leben und die gesellschaftlichen Ver­hält­nisse gestal­ten kön­nen. Das hier zum Aus­druck kom­mende Gesellschafts­bild ver­langt also kein Sich Ein­fü­gen (Unterord­nen) in eine Gemein­schaft son­dern ein aktives Gestal­ten eines offe­nen Zusam­men­lebens (‘gesellschaftliche Ver­hält­nisse’), es ver­langt Par­tizipa­tion. ‘Leben’, der Begriff weist nicht die Gren­zen nationaler, heimatlich­er oder kul­tureller Rück­bindun­gen auf, ‘Leben’ ver­weist auf Zusam­men­leben.
Hier wird nun logisch nachvol­lziehbar die Formel der All­ge­mein­heit ver­wen­det, die eben keine Begren­zung ken­nt und keine Kri­te­rien, wer dazu gehört und wer nicht. Die Schule soll Kinder und Jugendliche auf ein ver­ant­wortlich­es Leben gegenüber der All­ge­mein­heit vor­bere­it­en.

Das Schulge­setz für NRW ein Viertel­jahrhun­dert später spricht von eigen­ständi­gen , indi­vid­u­al­isierten Indi­viduen. Die Schule fördert – es gibt im Text kaum ein ’soll’, eine Vielzahl von Anforderun­gen, Aufträ­gen und Gren­zen, aber auf nichts soll abgezielt wer­den, alles wird gemacht – die Ent­fal­tung der Per­son, die Selb­st­ständigkeit ihrer Entschei­dun­gen. Die Schü­lerIn­nen habe das selb­st­ständi­ge und eigen­ver­ant­wortliche Han­deln zu ler­nen und das Vertreten der eigene Mei­n­ung. ((Teil­weise aus dem oben nicht zitierten Teil des SchulG von NRW, siehe obi­gen Hyper­link.)) Und all das schafft die Schule unter Berück­sich­ti­gung der indi­vidu­ellen Voraus­set­zun­gen der Schü­lerin­nen und Schüler.
Die geforderte Selb­st­ständigkeit und Eigen­ver­ant­wor­tung ist nicht unbe­gren­zt, sie hat sich an einen definierten Rah­men zu hal­ten, der vom SchulG Nor­drhein-West­falens in für Geset­zes­texte unüblich­er Redun­danz wieder­holt wird. Dieser Rah­men ist geset­zt durch die Grund­lage des Grundge­set­zes und die Lan­desver­fas­sung.
Und:

Schü­lerin­nen und Schüler wer­den befähigt, ver­ant­wortlich am sozialen,
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, beru­flichen, kul­turellen und poli­tis­chen
Leben teilzunehmen und ihr eigenes Leben zu gestal­ten.

Zusät­zlich anzuerziehen ist noch die Liebe zu Volk und Heimat. ((Man gebe diese bei­den Begriffe Volk und Heimat ver­such­sweise ein­mal in Google ein. Na? Schon pro­biert? Der schnell­ste Weg, um auf recht­sex­treme Seit­en zu kom­men. Nur recht­sex­treme Seit­en unter den ersten Tre­f­fern, oder?)) Darüber hin­aus wert das her­aus zu stre­ichen ist, dass dieser Geset­zes­text an mehreren Stellen nicht nur von der Ver­ant­wor­tung des Indi­vidu­ums son­dern auch von jen­er der Eltern spricht.

Frieden, Frei­heit, Men­schen­würde u.s.w.
Bei den bish­eri­gen Betra­ch­tun­gen und Ver­gle­ichen aus­ge­lassen und aus­ges­part geblieben sind die beson­deren Sen­si­bil­isierun­gen. Wofür, fordert der Geset­zge­ber, soll die Schule die ihr anver­traut­en Kinder und Jugendlichen beson­ders sen­si­bil­isieren?
Ein paar Antworten sind immer gle­ich: Frieden, Frei­heit, Demokratie, Men­schen­würde und weltan­schauliche Tol­er­anz.

Darüber hin­aus gibt es Unter­schiede, die in diesem Fall weniger auf ver­schiedene Gesellschaft­sauf­fas­sun­gen ver­weisen als auf eine gesamt­ge­sellschaftliche Entwick­lung.

Ein kleines unschein­bares aber bemerkenswertes Wort find­et sich im öster­re­ichis­chen Mis­sion State­ment aus den frühen 1960er Jahren. Die Jugend der Alpen­re­pub­lik sollen expliz­it zu ‘gesun­den’ Bürg­ern herange­zo­gen werden.Tja, der Grund vl.: die Ent­deck­ung der Hygiene und der Volks­ge­sund­heit lag damals noch nicht so lange zurück.!?

Im Geset­zes­text Berlins, jenes West-Berlins des kalten Kriegs, soll als vor­rangige beson­dere Sen­si­bil­ität die Wider­stand­skraft gegen die Ide­olo­gie des Nation­al­sozial­is­mus und alle anderen zur Gewaltherrschaft streben­den poli­tis­chen Lehren herange­bildet wer­den.
Aus der Zeit her­aus (für einen Geset­zes­text wohl) neu ist die geforderte Fähigkeit, eine Gesellschafts­form mit­gestal­ten zu kön­nen, in der die Gle­ich­berech­ti­gung der Geschlechter ver­wirk­licht sein sollte. Das SchulG Berlins schreibt dazu noch fest, dass durch die Schule herange­bildete Hal­tung von der Anerken­nung der Gle­ich­berech­ti­gung aller Men­schen bes­timmt sein sollte.

Die Gle­ich­berech­ti­gung aller Men­schen find­et im Text des SchulG von Nor­drhein-West­falen keine explizite Erwäh­nung mehr, schon aber der Grund­satz der Gle­ich­berech­ti­gung der
Geschlechter
. Darüber hin­aus wird hier nun noch fest­geschrieben, dass das Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein für die Natur und die Umwelt geschult wer­den soll, für Tiere und die Erhal­tung der natür­lichen Lebens­grund­la­gen.

Die Beze­ich­nun­gen der Objek­te schulis­chen Auf­gaben
Das Gesetz von 1962 definiert ‘die Jugend’ als Objekt der Tätigkeit der Schule und wün­scht als Ergeb­nis ‘Bürg­er’.
Das Gesetz von 1980 definiert ‘Kinder und Jugendliche’ als Objekt der schulis­chen Tätigkeit und fordert ‘Per­sön­lichkeit­en’ als Ergeb­nis dieser Tätigkeit im Sinne des Auf­trags.
Das Gesetz von 2005 definiert das Objekt der schulis­chen Tätigkeit mit ‘der junge Men­sch’, der in der Schule zu ‘Schü­lerin und Schüler’ wird, darüber hin­aus aber kaum beze­ich­net ist. Als einziger Geset­zes­text dif­feren­ziert jen­er von NRW die Objek­te: nach indi­vidu­ellen Voraus­set­zun­gen, nach Behin­derun­gen, nach eth­nis­chen, kul­turellen und sprach­liche Iden­titäten.

Resümee
Der Auf­trag an die öster­re­ichis­che Schule, wie er im SchuOG von 1962 fest­gelegt wird. Ich fasse zusam­men:

Pro­duk­tion gesun­der, pflicht­be­wusster und arbeit­samer Bürg­er und Kirchengänger. Vor­bere­itung dieser zukün­fti­gen Bürg­er auf die Einord­nung in den durch die katholis­che Kirche gestützten Staat, sein Wirtschaft­sleben und die sittsame öster­re­ichis­che bürg­er­liche Kul­tur.

Der Auf­trag an die Schulen Berlins, wie fest­gelegt im SchulG 1980. Meine Zusam­men­fas­sung:

Her­an­bil­dung kri­tis­ch­er, jede Art von Gewalt ablehnen­der und ent­ge­gen­tre­tender Per­sön­lichkeit­en. Vor­bere­itung dieser Per­sön­lichkeit­en dahinge­hend, dass sie selb­st aktiv an der fortschrit­tlichen Gestal­tung gesellschaftlich­er Ver­hält­nisse mitwirken kön­nen.

Der Auf­trag an die Schulen Nor­drhein-West­falen, aus­ge­drückt im aktuellen SchulG von 2005. In mein­er Zusam­men­fas­sung:

Erziehung von jun­gen Men­schen zu eigen­ver­ant­wortlichen Indi­viduen, die in Erfurcht an Gott glauben, in Liebe an das Volk und die Heimat und in Selb­stver­ständlichkeit an die Selb­st­ständigkeit ihrer Entschei­dun­gen und Hand­lun­gen. So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht, nur Indi­viduen und ihre Fam­i­lien. Amen.

Fort­set­zung fol­gt

2 Kommentare zu “Die Aufgabe der Schule”

  1. PT

    Heutige Auf­gabe der (Pflicht)Schule 2009 in Öster­re­ich:
    Objekt, das die tüchtige Bevölkerung (also Lehrper­so­n­en exk­lu­sive) zum Het­zer­tum gegen eine gewisse Beruf­s­gruppe ani­miert.
    Völ­lig begrün­det: Besitzen Lehrer doch tat­säch­lich die Frech­heit, sich gegen Zusatzarbeit zu sträuben, die sie kosten­los ver­richt­en müssen.Und das ger­ade Lehrer, die ja so viel Freizeit haben. Und völ­lig über­bezahlt sind. Kinder unter­richt­en ist doch eh so ein­fach, sind ja alle so lieb, ist ja alles so nett. Und da sie alle faul und unen­gagiert sind, bere­it­en sie eh nix vor. Haben also nur einen zu belächel­nden Halb­tagsjob. Dass sie anfangs nur 1000 Euro ver­di­enen trotz Studi­um und Akademik­er­da­sein — ahm, was? Uni? What´s that? Achso, nur Medi­zin und Jus studiert man — alles andere macht man. Ist klar. Und man weiß ja, dass Juris­ten und Medi­zin­er all­ge­mein dafür bekan­nt sind, gern gratis zu arbeit­en. Nur lei­der ist da die Poli­tik dage­gen. 🙄

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