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kapitalistisch medienkritik

Neuer ORF, alter ORF? Geiler, feiger ORF!

Schon eine komis­che Frage, die da allerorts vielerorts disku­tiert wird. Ob ORF-Fernse­hen Marke Wrabetz nun eine Selb­sterneuerung der öffentlich-rechtlichen “Anstalt” in Rich­tung Qual­ität mit­brin­gen wird.
(Ear­ly indi­ca­tions are: no. *kopf­schüt­teln*)

Erneuerung des ORF? Hoff­nung wider besseren Wis­sens.
Bis­lang ist mir die ganze Frage und Debat­te ziem­lich klar am Arsch vor­beige­gan­gen, und zwar bei aller Genug­tu­ung über den Sturz der auf vie­len Ebe­nen unfähig und medi­en­poli­tisch frag­würdig agieren­den Führung Lind­ner. Ich per­sön­lich denke bei den Debat­ten rund um die These eines erneuerten ORF(?) ((No-na-ned macht die neue orf-Führung in ein­er bre­itesten Mar­ketingof­fen­sive auf “erneuert”. Diese Mar­ketingof­fen­sive ist ja auch tat­säch­lich nicht von schlecht­en Eltern. Bis jet­zt wird prak­tisch aus­nahm­s­los diese Kam­pagne als “Der neue ORF” rezip­iert und nicht der ORF sel­ber. Die Kam­pagne gibt vor, was the­ma­tisiert wird, was eigentlich ORF ist und was man sich von ein­er Erneuerung erwarten kann und sollte .. und alle fol­gen brav. Ok, fast alle.)) eigentlich zuerst — mit Hoff­nung und Sorge — an Ö1 und das Mit­tagsjour­nal, an dieses selt­same Zwit­ter­we­sen orf.on und vl. noch an fm4. Bitte, nicht auch noch Mit­tagsjour­nal et al. abmon­tieren! Fernse­hen hab ich schon vor langer Zeit aufgegeben.
Kann ich übri­gens nur empfehlen, reduziert die Desin­for­ma­tion und die Aus­geliefer­theit gegenüber dem ide­ol­o­gis­chen Staat­sap­pa­rat sofort um ein erkleck­lich­es Maß. Echt. Aus­pro­bieren! Bitte. (Muss ja nicht gle­ich auf Arte und Phönix verzicht­en.)

Gestern nun etwas ZiB gese­hen, mein Fehler
Eine Über­nach­tung in einem Hotelz­im­mer kann so etwas mit mir anstellen. In der Lob­by des Sem­i­narho­tels hat­ten wir bis kurz vor Mit­ter­nacht disku­tiert, heftig und angeregt. Begleit­et wurde das disku­tieren in meinem Fall von vier Krügerln Bier.
Dann, im sauberen Zim­mer doch den Fernse­her aufge­dreht. (Ich kann und mag das nicht, so ganz unver­mit­telt schlafen zu gehen. Nicht mal, wenn ich hun­demüde bin.)

Und dann ist mir übel gewor­den. Nicht das Bier schuld. Nur die neue alte Berichter­stat­tung im ORF. Nach dem Kon­sum gestriger ZiB 3 assoziere ich “unserem” Fernse­hen erst recht wieder geil­er ORF, feiger ORF.
Jour­nal­is­mus à la PRO7, Sat1, RTL, … you name it, makes no dif­fer­ence. Nüsse etwas von einem sub­stantiellen Unter­schied. Die Berichter­stat­tung gle­icher­maßen wider­lich wie irrel­e­vant. Stich­wort: Vir­gina-Tech, Amok­lauf.

Ver­hält­nis: Rel­e­vanz zu Expo­sure?
Ein tragis­ches Ereig­nis. Passiert ist es in den USA (und europäis­che Kon­sumentIn­nen der Unter­hal­tungsin­dus­trie sind freilich seit langem daran gewöh­nt, dass die USA zur Innen­poli­tik ((Hierzu­lande hat man doch über Streck­en mehr O‑Ton des us-amerikanis­chen Präsi­den­ten als von Schweigekan­zlern zu hören bekom­men! Ver­dammt, ich hab schon O‑Ton von us-amerikanis­chen Präsi­den­ten­hun­den verkauft bekom­men. Umgekehrt kann man lang auf etwas Berichter­stat­tung über Wahlen in Nach­barstaat­en warten, lang und größ­ten­teils verge­blich.)) und heimis­chen “Chronik” gehören). Passiert ist es auf einem Cam­pus ein paar tausend Kilo­me­ter weit weg. Auf die Bühne gebracht wird das Ereig­nis von den Massen­me­di­en, aufge­führt in unseren Wohnz­im­mern (respek­tive Hotelz­im­mer).

Der Cam­pus in den USA ist telegen. Es gibt jede Menge Bilder, näm­lich auch dort, wo es keine Bilder gibt, die mit dem Geschehenen zu tun haben. Aber wir haben die Bilder von hun­derten us-amerikanis­chen “Campi” bere­its vor dem Ereig­nis im Kopf gehabt, samt den Bildern klein­er Uni­ver­sitätsstädte im Osten der USA, samt umher­wan­dern­den Stu­dentIn­nen, den Dorms (Schlaf­säalen), den Foot­ball­spiel­ern und Cheer­lead­ern, samt den Abschlussz­er­e­monien, samt der Flagge auf dem von Bäu­men gesäumten Rasen vor irgen­deinem Back­stein far­ben­em Gebäude, samt den Nerds und .. den anderen Amok­läufern.

Die Bilder sind alle schon da, sie brauchen nur angeregt wer­den. Gib mir ein Bild mit Rasen, Flagge, Stu­dentIn­nen, Foot­ball­spiel­er und einem Dorm im Hin­ter­grund, schon fes­selt mich die Auf­führung. Das Büh­nen­bild ver­set­zt umge­hend in den Film. Pop­corn gefäl­lig?
Pst, jet­zt wird s span­nend, jeden Moment kön­nte ja noch ein Schuss zu hören sein. Den Amis ist alles zuzu­trauen. Wenig­stens eine Cheer­lead­erin in engem Pullover und Rock soll­ten sie inter­viewen.

Der Amok­lauf als Event
Der ORF macht da klar­erweise mit. Mi-nu-ten-lang. (Wir wis­sen alle wie 20 Sekun­den für ein poli­tis­ches State­ment reichen müssen). Live-Schal­tung! (Wir erin­nern uns, die Pro­fes­sion der Aus­land­sko­r­re­spon­dentIn­nen ist abgeschafft, kein Geld dafür, egal, wir haben APA, Reuters, CNN etc.)
Was war das The­ma nochmal? Genau: AMOK. Eignet sich für kernige Schlagzeilen und Aus­sagen à la “Der Cam­pus des Todes” oder “hier herrscht Krieg”. Erspart Recherche und Über­prü­fung von “Fak­ten” (Wen inter­essiert schon, was “Amok” eigentlich heißt und ob solche “Mas­sak­er” mit diesem Begriff über­haupt etwas zu tun haben? ((Dazu hier ein Link. Führt wie oben schon jen­er bzgl. der “Bilder” zu einem Vor­trag, der als Audio­datei abspiel­bar ist. Der Link führt zum Audioarchiv der Rei­he Inter­ven­tio­nen des Insti­tuts für The­o­rie der Gestal­tung und Kun­st (ith) an der Hochschule für Gestal­tung und Kun­st Zürich. GROßE EMPFEHLUNG. Der Vor­trag zu Amok ist von Joseph Vogl und in auf zwei Audio­dateien aufgeteilt.)) Haben sie näm­lich nicht.)
Eignet sich her­vor­ra­gend zur Insze­nierung des leicht­en Schauerge­fühls, mit dem Wach­samkeit als gesellschaftlich­er Wert bestätigt, die Berech­ti­gung von zwis­chen­men­schlichem Mis­strauen unter­strichen wird und die selb­stver­ständliche Notwendigkeit von Überwachung und Kon­trolle jed­er und jedem von uns augen­schein­lich wird. Erspart die Gegenüber­stel­lung von Sichtweisen und Per­spek­tiv­en, denn es gibt nur eine.

Der Täter ist nur Täter, pathol­o­gisch und nach­her immer tot. Die Opfer sind nur Opfer. Case closed. Keine Über­raschun­gen.
Eignet sich für kollek­tive, das heißt geteilte und gemein­same, uns verbindende Betrof­fen­heit. Die Opfer sind Men­schen wie wir. Es ist sich­er, dass sie nichts dafür kon­nten. Ihr Tod war sinn­los (Gilt das für Straßen­verkehr nicht? Für Kriege all­ge­mein? Für Ver­hungern?). Erspart die Berichter­stat­tung und Darstel­lung (vul­go Über­set­zung) von ambiva­len­ten und kom­plex­en Zusam­men­hän­gen. Kein “das ist nicht so ein­fach”, kein “das muss man dif­feren­zieren”. Sinowatz ist lange her, gescheit­ert und heute wür­den da sowieso alle den Fernse­her abdrehen (vul­go zap­pen).

Und was echauffi­er’ ich mich eigentlich?
Klar, es machen schließlich alle so. Kernige Auf­machun­gen, jede Menge Bilder und Videos, gehalt­lose Über­flu­tung an Artikeln zum The­ma, jede Menge zur Schau Stel­lung der “Opfer” und rück­halt­lose Betä­ti­gung der Mitgefühls‑, Anteils- und Ver­bun­den­heits­ge­füh­lklaviatur (z.B. hier). Ange­bliche Qual­itätsme­di­en ver­bi­eten sich nichts.

Warum sollte die ZiB zurück­ste­hen? Markt und so, nicht? Der Amok­lauf, das Mas­sak­er, liegt noch keine 10 Stun­den zurück. Egal, dass bei solchen “Amok­läufen” eigentlich kaum Infor­ma­tio­nen anfall­en. Gründe und Hin­ter­gründe bleiben in der Regel eben ger­ade dif­fus. Ger­ade in den Stun­den nach den Schüssen, nach dem Mor­den kann es gesicherte Infor­ma­tio­nen noch gar nicht geben. Macht nichts, who gives a fuck about “gesicherte” Infor­ma­tio­nen?
Es geht um Bilder. Es geht um Stim­mung. Es geht um das (den) Event.

Der ORF ist diese knap­pen Stun­den nach dem Amok­lauf bere­its vor Ort. Zum Recher­chieren? Nein. Kam­er­ateam und Reporter. Was es eben für Bilder braucht. Keine Infor­ma­tio­nen? Wir inter­viewen Stu­dentIn­nen am Cam­pus! Keine Infor­ma­tio­nen? Nochmals, who gives a fuck, das war wahrschein­lich nie die Inten­tion. Es geht um den Film im Kopf. Du weißt schon High­school-Mas­sacre 3 (Ok, Vir­ginia-Tech ist keine High­school, aber who gives a fuck.).

So viel war von vorn here­in klar, da wer­den alle bericht­en & da wer­den jede Menge Leute zu greifen sein. Die kann man inter­viewen, die Betrof­fen­heit sicht­bar machen, im Hin­ter­grund der Cam­pus, das ken­nen die Leute, mit dem kön­nen sie sich iden­ti­fizieren. Wir müssen Stim­mungs­bilder liefern, die mit den Stim­mungs­bildern der Konkur­renz konkur­ri­eren kön­nen.

Am besten live inter­viewen. Vielle­icht find­en wir Öster­re­icherIn­nen am Cam­pus. “Wo waren sie ger­ade, als sie Schüsse hörten?

Wieso so erbärm­lich und feige?
Der Höhep­unkt der erbärm­lichen ZiB-Berichter­stat­tung fol­gte noch.
Der Täter hat­te in zeitlichem Abstand von 2 Stun­den an zwei unter­schiedlichen Orten am Cam­pus gemordet. So viel war die knap­pen Stun­den danach bere­its bekan­nt. Das kon­nte man in der kurzen Zeit unmöglich über­prüfen, aber — ein let­ztes mal — who gives a fuck. Hier kön­nte man mit der Schuldzuweisung bere­its anfan­gen. Vor­sichtig, nicht zuweit her­auslehnen, nicht zu geil wirken. Aber Andeu­tung kann man machen. Spie­len wir mit “offe­nen Fra­gen”. Dop­pel­nutzen inklu­sive, die Leute am Fernsehschirm wer­den genau wis­sen, worauf wir hin­aus wollen, “offe­nen Fra­gen” zu for­mulieren klingt außer­dem nach Jour­nal­is­mus und drit­tens haben wir das Ele­ment der Fort­set­zung drin­nen. Wie in der Soap. “Hat die Uni­ver­sitätsver­wal­tung geschlafen und die Stu­dentIn­nen nicht vorge­warnt? Hätte die Polizei das Mas­sak­er ver­hin­dern kön­nen? Ja, sog­ar müssen?” Schal­ten sie mor­gen wieder ein, wen wir die Unfähigkeit des Rek­tors und der Ein­satzkräfte aufdeck­en!

Deshalb assoziere ich Geil­heit und Feigheit - her­aus­ra­gende Struk­turele­mente son­st nur des “Hyä­nen­jour­nal­is­mus” — auch mit dem ORF. Per­son­ifiziert in einem Live-Berichter­stat­ter, der wenige Stun­den nach den Mor­den am Cam­pus irgendwelchen, ger­ade ver­füg­baren Stu­dentIn­nen das Mikro unter die Nase hält und in — feigen - Andeu­tun­gen ver­sucht, die Inter­viewten zu Beschuldigun­gen gegenüber der Cam­pusver­wal­tung oder gegenüber der Ein­sat­zleitung zu ver­leit­en.
Denn der einzige fest­ste­hende Täter ist tot, wir sind aber geil auf weit­ere Täter. Vielle­icht lassen sich noch Täter find­en. Vielle­icht lassen sich Täter find­en, die noch nicht tot und also noch anklag­bar sind.

Am soge­nan­nten Ende des Tages sind wir unendlich viel klüger. Infor­ma­tion­s­ge­halt? Reduzier­bar auf “Amok­lauf an us-amerikanis­ch­er Uni”. Hin­ter­gründe, Ablauf, Body­count (Anzahl der Toten) sind und kön­nen noch gar nicht gek­lärt und über­prüft sein. Aber der ORF war minuten­lang drauf und sog­ar live vor Ort.
Rel­e­vanz? Tja, jeden­falls gemessen am Aufwand der Berichter­stat­tung riesig. Mehr als innen­poli­tis­che The­men, mehr als außen­poli­tis­che “Brand­herde”, mehr als … [tra­gen Sie ein was Sie wollen]

ORF neu, alt oder run­derneuert?
Zumin­d­est was das ORF-Fernse­hen bet­rifft, I don’t give a fuck!!
Ich geh’ jet­zt Radio hören.
Mit­tagsjour­nal als Webra­dio.
Dafür danke.

ps: oder ich hör mir diese geniale Stück Fun­ny van Dan­nen zu zig­sten Mal an. Anhören. Nochmal & dann nochmal anhören.

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