Kategorien
imagGemeinschaften instruktiv SoZi Soziologie

SoZi 19|09: Die Gruppe

Aus einem Buch, welch­es ich per­sön­lich gerne zum Klas­sik­er erheben möchtete; und das ich noch lieber als Pflicht­pro­gramm sähe für Stu­dentIn­nen der Sozi­olo­gie, aber auch weit­er­er Sozial­wis­senschaften eben­so wie für in Wirk­lichkeit sowieso alle. 😉 Ein Buch, das z.B. einen per­fek­ten Ein­stieg in sozial­wis­senschaftlich­es Wis­sen für Jugendliche bieten würde.

Sagen wir vielle­icht ‘Schul­stufe 6’:
Die soziale Gruppe und Grup­pen­ver­bände
Sys­tem­a­tis­che Ein­führung in die Fol­gen von Verge­sellschaf­tung

Ach ja! Und dieses SoZi – mit ver­spätetem Erschei­n­ung­ster­min 🙄 – hat übri­gens kurzfristig und aus gegebe­nen Anlass ein anderes, ursprünglich hier vorge­se­henes ver­drängt. Der Anlass:
die in der Blo­gosphäre, auf Twit­ter und also all­ge­mein in web2.0‑Strukturen geführten Diskus­sio­nen(?) rund um die “Grüne Vor­wahlen”-Ini­tia­tive.

Ein Lehrbeispiel von Zwang­sprozessen (siehe unten) ((… und freilich ist da mehr, und vl. auch ein weit­eres Son­ntagsz­i­tat näch­ste Woche zu Ori­en­tierungs- und Bezugs­grup­pen, vl. irgend­wann zu Grup­pen zweit­er Ord­nung.)), also solchen, die in der sozialen Formierung unumgänglich sind, was nicht das “wie” son­dern das “dass” meint. Dass mir das “wie” nicht son­der­lich sym­pa­thisch ist, mag ich nicht mehr ver­hehlen und hab das auch hier zulet­zt kom­men­tiert.

Ob ich die let­zte Nacht gemacht­en 3seitigen Noti­zen noch Online stelle, dazu geben ich mir sicher­heit­shal­ber noch ne weit­ere Nacht Bedenkzeit. Hier jet­zt ein­fach das SoZi zur Woche:

1. Kleine Grup­pen als “Rus­selsche Struk­turen”
Kleine Grup­pen, d.h. soziale For­ma­tio­nen von mehreren bis ca. 25 Men­schen, treten als voror­gan­isierte Zwangs­grup­pen oder sich organ­isierende freie Grup­pen, d.h. als “struk­turi­ert” auf: Sie wer­den zu “Struk­turen” geformt oder for­men sich zu “Struk­turen”. Struk­tur meint dabei einen geregel­ten Auf­bau, der im “Funk­tion­ieren” der Gruppe zum Aus­druck kommt. So glauben wir meis­tens eine “Fam­i­lie” zu erken­nen, wenn wir zwei gegengeschlechtliche Erwach­sene mit zwei “Kindern” sehen; auf der Straße marschierende Rei­hen Uni­formiert­er wer­den als mil­itärische oder paramil­itärische Gruppe iden­ti­fiziert. Was sehen wir aber “eigentlich”? Wir sehen einzelne Men­schen, sozusagen “Ele­mente” ein­er sich abze­ich­nen­den sozialen For­ma­tion, die als solche Ele­mente auf einen bes­timmten Zusam­men­hang (der in unser­er Kul­tur bekan­nt ist) ver­weisen. [..]
Dieser “Zusam­men­hang” ist, sozi­ol­o­gisch ange­sprochen, nichts anderes als “verbindliche Ver­hal­tensan­weisung” (Norm). Set­zt man hier­für “Syn­tax” (Zusam­menord­nung von Wörtern, Bedeu­tungs­be­standteilen, Teilen, Ver­hal­tensweisen) so ergibt sich, daß wir “Grup­pen” iden­ti­fizieren, indem wir in ihnen Ele­mente erken­nen, die nach ein­er bes­timmten Syn­tax zueinan­der­ge­ord­net sind, das heißt bei Men­schen: sich ihr – unfrei­willig oder frei­willig – unter­w­er­fen. [..]
Damit erken­nen wir Grup­pen als “Rus­selsche Struk­turen”, das heißt Struk­turen, die sich über ein­er Basis bilden, die aus Elemten beste­ht, die nach ein­er Syn­tax ange­ord­net sind. Oder: Die kleine konkret auftre­tende Gruppe ist eine Vari­ante begren­zter Möglichkeit­en. ((Wie übri­gens alle weit­eren größeren sozialen Ver­bände bis zum “Staat” hin­auf.))

2. Weit­ere formierende Fak­toren
Ein­ge­lagert in diejeni­gen Lebens­for­men und Ver­hal­tensprozesse, die von der gesellschaftlich bes­timmten, oft kul­turell vorgegebe­nen Basis  (Ele­mente und Syn­tax) sich typ­isch ableit­en lassen, sind Prozesse mit einem gewis­sen Zwangscharak­ter. [..]

Zwang zur Selb­st­darstel­lung
[..] Die Selb­st­darstel­lung – als ein Zwang für alle Mit­glieder ein­er Gruppe – ist kon­sti­tu­ierend oder kennze­ich­nend für den Druck, den Grup­pen­bil­dung auf die Beteiligten ausübt und ausüben wird: den Druck in Rich­tung auf eine Homogenisierung auf mit­tlerem Niveau. [..]

Zwang, den anderen reg­istri­eren zu müssen
[..] In diesem Klärung­sprozess der beteiligten “Charak­tere” geschieht aber auch notwendig ein Annäherung­sprozess. [..] Es muss ein “Erwartungs­ge­füge” entste­hen, an dem “man” sich gegen­seit­ig ori­en­tieren kann. [..]

Zwang zur Bil­dung eines Bin­nenselb­stver­ständ­niss­es
[..] Zu dieser gegen­seit­i­gen Bestä­ti­gung hil­ft in her­vor­ra­gen­dem Maße die Bil­dung ein­er “Grup­pen­sprache”. [..]

Zwang zur Außen­darstel­lung gegenüber der Umwelt
[..] Am deut­lich­sten wer­den mögliche Dif­feren­zen zwis­chen Bin­nenselb­stver­ständ­nis und Außen­darstel­lung dort, wo sich Grup­pen ihrem Bin­nenselb­stver­ständ­nis nach aus­drück­lich gegen Nor­men oder auch “herrschende” Werte der Umgeben­den Gesellschaft stellen, im Extrem­fall dage­gen zu agieren bere­it sind, zum Beisp­tiel be soge­nan­nten “kon­spir­a­tiv­en” Grup­pen. Deren Basis ist beson­ders klar: Ihre Ele­mente haben auss­chließlich aus ein­deutig “zuver­läs­si­gen”, das heißt hier: ide­ol­o­gisch zuver­läs­si­gen, Mit­gliedern zu beste­hen; auch “fach­lich” notwendi­ger­schein­dende Kom­pe­ten­zen mit­brin­gende, das heißt beson­ders in dieser Dimen­sion erwün­schte Mit­glieder müssen voll und ganz “auf der Lin­ie” sein (was zu erhe­blichen Prob­le­men führen kann). [..]

Investi­tio­nen”
[..] Die Selb­st­darstel­lung zur eige­nen Inte­gra­tion in eine Zwangs­gruppe oder eine frei­williger gebildete Gruppe ist bere­its unter dem Aspekt der Investi­tio­nen zu sehen: Schon das bloße Erscheinen bedeutet eine Investi­tion von Zeit, von Entschluß, konkret “da” sein, Zeit-daran-Geben, Sprechen, Bleiben, Mit­machen. Investi­tion ist aber auch das – unver­mei­dliche – Reg­istri­eren der anderen, das Sich-mit-ihnen-Beschäfti­gen, Sie-in-sie-Einord­nen, Auf-sie-Einge­hen, Sich-zu-ihnen-Abstim­men. Investi­tion erfol­gt also gegen­seit­ig. Typ­isch steigert sich dabei die Investi­tionsinten­sität, zugle­ich ver­mehrt sich auch die Investi­tionsmasse. [..]

Real­itätsver­hält­nis
[..] Die Gruppe begin­nt eine Gren­ze um sich zu ziehen, wird kon­flik­t­fähig, “insti­tu­tion­al­isiert” sich. Dieser Vor­gang des Sicheini­gens auf ein “Welt­bild” oder eine Weltan­sicht, welch­er Konzen­tra­tion, Innenstabilisierung/Institutionalisierung, höhere Kon­flik­t­fähigkeit, eigene und Grup­peniden­tität umfaßt, kann mit dem Begriff der “Insu­la­tion” gekennze­ich­net wer­den. Die sich gegen außen abgren­zende Gruppe entwick­elt ihr eigenes Innen­kli­ma, das charak­ter­is­tisch von der Umwelt abwe­icht, sich gegen sie abset­zt. [..]

Claessens, Dieter (1995 [1977]):
Gruppe und Grup­pen­ver­bände. Sys­tem­a­tis­che Ein­führung in die Fol­gen von Verge­sellschaf­tung

2 Antworten auf „SoZi 19|09: Die Gruppe“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.