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Wohin ist der Austrofaschismus verschwunden?

Ich meine, hey, ehrlich. Da war doch was, oder? Und jet­zt die let­zten Tage klang das ganz so als wär da nichts gewe­sen. Aus­tro­faschis­mus?
Ich bin ja nicht His­torik­er und … aber geht es eigentlich nur mir so? Das muss doch anderen auch aufge­fall­en sein?

Nicht dass das mein einziges Stirn­run­zeln rund um die aktuelle Gedenk­jahrberichter­stat­tung und zu den Reden zu 1938, Anschluss und Wider­stand wäre … halt, äh, moment mal … Wider­stand? Ok, nochmal. Nicht dass das mein einziges Prob­lem mit den Kom­mentaren, Blurps und Blaahs von ex-höch­ster Fam­i­lie bis zu den “kleinen Mann”-Postings wäre. Und über­haupt gibt es andere Prob­leme. Mein Rück­en kann’s wieder. Dann die Frucht­fliegenat­tacke. Die reale Infla­tion meines eige­nen kleinen Warenko­rbs. Etc.

Trotz­dem hab ich an der Berichter­stat­tung nicht ganz vor­bei hören und lesen kön­nen. (Hab v.a. Ö1 Beiträge, orfon sci­ence und bißchen der­stan­dard kon­sum­iert.) Und ich frage mich nun seit Tagen immer mehr fol­gen­des:
bringt dieses Gedenken an 1938 nun die Ein­führung ein­er neue Sprachregelung, mit der der Rück­blick auf die 1930er Jahre vom Begriff “Aus­tro­faschis­mus” vol­lkom­men gere­inigt wird? Bzw. von den Begrif­f­en Aus­tro­faschis­mus und Klerikalfaschis­mus?

Kann mir mal jemand erk­lären, warum diese Begriffe nir­gends vorkom­men und über­all nur von Christlich-Sozialen gere­det wird? ((Und nicht nur in den Massen­me­di­en, siehe auch das Par­la­mentsplenum. In dem Zusam­men­hang immer wieder bemerkenswert, wie der Aus­druck “Sozial­is­ten” regelmäßig von Poli­tik­erIn­nen mit­terechts bis rechts als beab­sichtigtes Schimpf- und Schan­de­wort ver­wen­det wird. Kön­nen wir uns den anderen Fall vorstellen, was passieren würde, nähme jemand links der Mitte den Begriff “Klerikalfaschis­ten” in den Mund? Hal­lelu­ja, da bräche wohl ein min­destens drei­wöchiger Sturm los, stell’ ich mir vor.))

Und soll das heißen, das war ja eigentlich alles gar nicht so so so … so faschis­tisch? Ist der Begriff Faschis­mus jet­zt allein und auss­chließlich der “orig­i­nalen” ital­ienis­chen Bewe­gung vor­be­hal­ten?

Und Fran­co? Auch eigentlich ein chris­tilich-sozialer Kan­zler? Marschall Pił­sud­s­ki, Mik­lós Hor­thy, Doll­fuß und Schuschnigg, … alles christlich-soziale ja, ok “Dik­taturen” bzw. – heute wieder im Radio, Ö1 bitte schön – nicht Demokra­tien und nicht par­la­men­tarische Sys­teme wie wir sie heute ver­ste­hen.

Was wohl His­torik­erIn­nen abseits des ORF dazu meinen …
Würde da wirk­lich gerne Berufenere dazu hören. Wer weiß, vl. bilde ich mir das ein und es gab auch schon vor vier Jahren zum Gedenk­jahr an 1934 diese Sprachregelung.
Ich finde das jeden­falls span­nend, vl. kann Anton Tant­ner dazu etwas Aufk­lärung beitra­gen. Werde mal bei ihm und anderen anklopfen.

ps:
möchte nicht irgendw­er eine schöne Karikatur zur Habsburg’schen Geschicht­sklit­terung zeich­nen?

Doll­fuß als der einzige europäis­che Kan­zler, der in der Schlacht gegen Hitler gefall­en ist.
Ich sehe es vor meinem geisti­gen Auge:
Die Land­straße keine 30km vor Linz. Der öster­re­ichis­che Feld­herr in schüs­selsch­er Lebens­größe und nur etwas ver­mod­ert als erstes und let­ztes Prell­bock­häufchen auf der Straße. Die Karosse des Führers fährt den untoten Volk­shelden ungerührt nieder. Der GRÖFAZ merkt nichts, das leichte Rumpeln ficht ihn nicht an. Er ist damit beschäftigt, die jubel­nde Menge zu bestaunen. Und der Führer fährt schließlich auch keinen Volk­swa­gen son­dern einen frühen SUV. Aber­rrr errrr notier­rrrt immer­hin ‘Schlechte Straßen hier in der Ost­mark. Werde mein­er Heimat die Auto­bahn schenken’. Nie­man­den fällt in dieser Sit­u­a­tion der Fleck auf der Straße auf, der kleine tapfere und schon wieder ermordete öster­re­ichiche Kan­zler. Wie unfair, wie helden­haft-tragisch, wie öster­re­ichisch.

2 Kommentare zu “Wohin ist der Austrofaschismus verschwunden?”

  1. hans christian

    Danke für die Antwort! Das ging schnell.

    Meine Aus­gabe dieses Stan­dard­w­erkes ist noch aus dem Jahre 1988, damals die 4. auch schon ergänzte Auflage.

    Ger­ade aus dem Regal geholt. Im ersten Satz des Vor­wortes der ersten Auflage Jän­ner 1984 heißt es:

    Die Begriffe Autoritär­er Staat, Stän­destaat, Aus­tro­faschis­mus, Halb­faschis­mus oder kon­ser­v­a­tiv- bürg­er­liche Dirk­tatur sind Aus­druck für die in der Lit­er­atur ver­bre­it­eten kon­tro­ver­siellen Ein­schätzun­gen des 1933/34 in Öster­re­ich etablierten Herrschaftssys­tems.

    Passt auf den ersten Blick wohl anstand­s­los auf heute. (“Halb­faschis­mus”, der Begriff ist bis­lang an mir vor­beige­gan­gen.)

    Das hieße, dass sich in den gut 20 Jahren seit dem Sta­tus des Stan­dard­w­erkes als eben Stan­dard­w­erk — in welchem kein Zweifel über die Dik­tion ‘Aus­tro­faschis­mus’ herrscht — dahin gehend nichts getan hat?
    Darf ich das so zusam­men­fassen, dass sich einige bürg­er­liche His­torik­erIn­nen in Öster­re­ich es bis dato weigern, das Kind beim Namen zu nen­nen?

    Freilich, meine eigentliche Frage drehte sich um die Sprachregelung der Massen­me­di­en. Die Unter­suchung würde mich klar­erweise inter­essieren: Vgl. der Berichter­stat­tung zu Jahresta­gen, wis­senschaftl. Debat­te in Ö, wis­senschaftl. Debat­te außer­halb Ö’s …

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  2. adresscomptoir

    In der wis­senschaftlichen Diskus­sion habe ich schon den Ein­druck, dass der Begriff weit­er ver­wen­det wird, erst 2005 ist das von Emmerich Talos u.a. her­aus­gegebene Stan­dard­w­erk dazu (Aus­tro­faschis­mus. Poli­tik — Ökonomie — Kul­tur. 1933 — 1938. Lit Ver­lag) über­ar­beit­et wieder aufgelegt wor­den und ein Fre­und von mir arbeit­et ger­ade an ein­er vom Linz­er Stadtarchiv in Auf­trag gegebe­nen Studie zum The­ma Aus­tro­faschis­mus in Linz. Die Frage ist freilich, ob sich in der medi­alen Darstel­lung was geän­dert hat; dazu müsste man wohl die Berichter­stat­tung zu den jew­eili­gen Jahresta­gen ver­gle­ichend anschauen. Wobei der Begriff nie all­ge­mein akzep­tiert war, z.B. nicht bei ÖVP-affinen His­torik­ern.

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