hcv

Maulkorberlass für MitarbeiterInnen-Blog?

Heute ist ein inter­es­san­ter Beitrag auf einem kleinen unschein­baren Blog online gegan­gen, ein – wie ich finde – hochin­ter­es­san­ter Beitrag. Ein kryp­tis­ch­er, sich nicht auf den ersten Blick erschließen­der Beitrag. Liest man etwas weit­er und die vor­ange­gan­genen

Das Blog?
Jenes des Angestell­tenbe­trieb­srats der Tchi­bo Man­u­fac­tur­ing Aus­tria GmbH.

Der Beitrag?
Hier ein Screen­shot des Beitrags von heute, just in case. Und so und so möchte das schon allein vor dem Hin­ter­grund archiviert wer­den, da es dieses Betrieb­srats-Weblog nicht mehr lang geben wird. Aber dazu gle­ich mehr … (Klick­en zum Ver­größern)


Der Beitrag ‘Sitz, platz, soo ist´s brav….’ find­et sich hier.

Was hat es damit nun auf sich? Warum finde ich den Ein­trag ‘hochin­ter­es­sant’?

Das Poten­tial von Blogs als Gegenöffentlichkeit2.0
Das ist schnell erk­lärt.
(1) Das Blog hat ein Betrieb­srat im Okto­ber 07 im Anschluss an einen knapp ein­tägi­gen Crashkurs online gestellt und zu führen begonnen. Daran ist ein­mal der Punkt bemerkenswert: Dieser ein­tägige Crashkurs, knappe 6 Stun­den war real­is­tis­ch­er Weise gar nicht darauf aus­gelegt, dass Teil­nehmerIn­nen danach zu bloggen losle­gen. Die Teil­nehmerIn­nen typ­is­che EDV-NutzerIn­nen, ein bißchen Word, Email, ein bißchen im WWW sur­fen, max­i­mal etwas Excel-Ken­nt­nisse. Aber so weit ist das Instru­ment Weblog bere­its.

Ein Tag mit ein wenig Ein­führung genügt, um ohne weit­ere Vorken­nt­nisse mit einem Blog loszule­gen. ((Man ver­gle­iche mit dem Aufwand für eine kleine Zeitschrift, nehmen wir an 4 Aus­gaben im Jahr, so wie viele kleine Vere­in­szeitschriften und Betrieb­szeitun­gen. Man ver­gle­iche den Aufwand an Ressourcen: finanzielle, organ­isatorische, zeitliche, räum­liche und Vor­wis­sen, Ken­nt­nisse. Man ver­gle­iche den Out­put.))

(2) Dieser Betrieb­srat – Angestell­tenbe­trieb­srat der Tchi­bo Kaf­feerösterei – blog­gt also so ein bißchen dahin. Ich bekomme das freilich mit, weil ich direkt nach dem Sem­i­nar noch neugierig bin, ob von den Teil­nehmerIn­nen jemand etwas anfängt und dieses Blog gle­ich abon­niere. Hier bemerkenswert, der Fak­tor ‘Abon­nieren’, über den ich mich schon ein paar mal im Keller­a­bteil aus­ge­lassen habe, weswe­gen das hier ent­fällt.

Es genügt, dass natür­lich nur durch das Abo (diese Funk­tion­al­ität) ich etwas von den Vorgän­gen im Betrieb der Kaf­feerösterei mit­bekomme.

(3) Das Blog des Betrieb­srats ist über weite Streck­en für Außen­ste­hende unin­ter­es­sant. Ich möchte fast sagen, und der BR möge mir verzei­hen, sollte er das irgend­wann ein­mal lesen, das Blog ist für Außen­ste­hende vol­lkom­men unin­ter­es­sant. Interne Geburt­stagswün­sche und so ein Zeug. Keine eigentlich ‘in das Innere eines Betriebs’ Ein­blicke gebende Beiträge, keine Berichte aus dem Arbeit­sall­t­ag eines Betrieb­srats. Alles sehr brav, sog­ar noch, als plöt­zlich die Nachricht von der Schließung der Rösterei über das Blog geht.

Hier ist schon mal bemerkenswert: ich hätte von dieser Werkss­chließung nie erfahren. Die Massen­me­di­en — und zwar nicht mal Lokalme­di­en — bericht­en von ein­er Werkschließung nicht, die ger­ade ein­mal 70 Mitar­bei­t­erIn­nen bet­rifft. Aber wir erin­nern uns alle, was z.B. damals bei Sem­per­it und Con­ti los war.
Hier hät­ten wir jet­zt einen direk­ten Draht in den Betrieb, wenn es Inter­es­santes zu fra­gen bzw. zu erzählen gäbe. Will sagen, ein bloggen­der BR ist autonom von der medi­alen Öffentlichkeit. Und eine Unternehmensleitung kann mit ihrer ganzen PR-Maschiner­ie poten­tiell punk­to Kon­trolle des Infor­ma­tions­flusses brausen gehen, wenn so eine Leitung etabliert ist/wäre.

(4) Dann dieser Ein­trag heute. Für sich genom­men vl. etwas rät­sel­haft. Liest man die kurze Geschichte des Blogs hin­unter, so liest man von der beschlosse­nen Betrieb­sstil­l­le­gung und von Ver­hand­lun­gen um einen Sozialplan. Zieht man das alles in Betra­cht, dann erschließt sich der kryp­tis­che Ein­trag zu Maulkör­ben und Hun­den dann doch recht ein­deutig.

Mag sein ich irre mich, aber kann es sein, dass jemand in der Unternehmensleitung allein mit dem Umstand der Exis­tenz eines Betrieb­srats­Blogs mas­sive Prob­leme hat?
Ist es genau diese autonome, von den Geset­zmäßigkeit­en des Medi­en­sys­tems autonome Leitung, die dem Man­age­ment und der Abteilung für Öffentlichkeit­sar­beit ein Dorn im Auge ist? Viel mehr kann es kaum sein, denn hier ste­ht nichts Aufre­gen­des, nichts Enthül­len­des, nichts über den trau­ri­gen Umstand hin­aus­ge­hen­des, dass 70 Arbeit­splätze ver­loren gehen.

Aber halt, dass mit den 70 Mitar­bei­t­erIn­nen ste­ht übri­gens nicht mehr online. Die Zahl 70irgendetwas hab’ ich lediglich in Erin­nerung (und die müssen beiläu­fig gesagt nicht stim­men). Aber wenn ich das nicht zuvor in diesem Blog gele­sen hätte, wie käm ich son­st drauf? Hab’ das jeden­falls noch ganz gut in Erin­nerung. Wer stört sich also an der Zahl, die ausweist, wie viele Men­schen von der Werkss­chließung betrof­fen sind? Hat der bloggende BR die Zahl selb­st­tätig ent­fer­nt oder war hier jemand aus der Unternehmensleitung der Mei­n­ung, dass die Zahl der Betrof­fe­nen doch nicht unbe­d­ingt online ste­hen muss.

Wahrschein­lich sehe ich Schat­ten wo keine sind, weil welch­es Man­age­ment hat Angst vor ein­er Hand­voll WWW-Surfer, die zufäl­lig auf diesem Blog lan­den kön­nten? Absurd. ((Obwohl, wenn es Sem­per­it bzw. Con­ti wäre, mhm, und wenn wir 5 Jahre in die Zukun­ft denken, in eine mögliche Entwick­lung, in der das Instru­ment Weblog viel viel etabliert­er, ver­bre­it­eter, neu­ral­gis­ch­er ist … mhm mhm mhm.))

Hier ist also bemerkenswert, – immer voraus­ge­set­zt ich bin nicht ganz auf der falschen Fährte, glaube ich aber kaum –, dass das schiere Ein­richt­en und Betreiben eines in das öffentliche WWW hinein­ra­gende Betrieb­srats­Blogs offen­sichtlich reicht, um ein­er Geschäfts­führung graue Haare wach­sen zu lassen. Dabei ist dieses Blog des Tchi­bo Angestell­tenbe­trieb­srats wohl ein Muster­beispiel an einem harm­losen Mitar­beit­erblog, mit Geburt­stags­grüßen und Bericht vom gemein­samen Ski-Woch­enende.

Hier ist außer­dem abso­lut bemerkenswert, wie der schiere Umstand eines für die Unternehmensführung eigentlich harm­losen Betrieb­srats­blogs die herrschen­den Macht­struk­turen zwis­chen Arbeit­ge­bern und Arbeit­nehmerIn­nen und die struk­turelle Macht der Arbeit­ge­ber­seite sicht­bar macht: Die erzwin­gen ein­fach den Maulko­rb.

Obschon ich nicht ganz ver­ste­he, warum sich der BR das gefall­en lässt – aber gut, ich kenne die Inter­na nicht und vl. hat das mit den Ver­hand­lun­gen zu tun, vl. hat der BR hier im Hin­ter­grund geschickt gespielt und für seine Belegschaft gewon­nen, sicher­lich sind es keine rechtlichen Aspek­te, die ihn zum Zurück­steck­en bewogen haben – , jeden­falls muss ich meine Achtung für die sub­til iro­nis­che und gle­ichzeit­ig unmissver­ständlich wider­ständi­ge Art und Weise zollen, wie der BR die Ver­hält­nisse im Unternehmen sicht­bar macht.
Eine Meta­pher sagt mehr als tausend Worte. Respekt.

4 Kommentare zu “Maulkorberlass für MitarbeiterInnen-Blog?”

  1. long harry

    Lustig, ich hätte gar­nicht gedacht das das *wirk­lich* so funk­tion­iert. Komis­che Welt.

    Antworten
  2. hans christian

    Hel­lo bear,

    jep, das hab ich mir dur­chaus auch gedacht. Gut, wenn es so war. Und dann hätte ich genau­so gehan­delt. Plus, ich freute mich, wenn es so war und wün­sche es mir.
    Weiß nicht, ob das in meinem Ein­trag jet­zt als Möglichkeit aus­re­ichend durchgeschienen ist.

    Wenn es jet­zt also so war, dann ist dieses Beispiel erst recht ein erfreulich­es. Und dann unter­stre­icht und belegt dieses Beispiel, was die schiere Exis­tenz eines Mitar­bei­t­erIn­nen- bzw. Betrieb­srats­Blogs zu bewirken ver­mag.
    Dann ist ein Betrieb­s­blog mit Anbindung an das WWW, und dann ist dieser autonome Kanal unab­hängig von den Machtver­hält­nis­sen des Medi­en­sys­tems und der möglichen Ein­flussnahme der Unternehmensleitung ein gewichtiges Atout für die Belegschaft.

    Und genau das hoffe ich und wollte ich sagen. 🙄

    Antworten
  3. baer

    Ich kann mir schon vorstellen, warum der Betrieb­srat sich das gefall­en lässt. Immer­hin hat er ger­ade einen Sozialplan ver­han­delt, der Deinen Angaben nach “erfol­gre­ich” war. Kann es sein, dass bei den Ver­hand­lun­gen neben­bei ein Satz über einen unbe­que­men Blog gefall­en ist? Kann es sein, dass der BR die Wahl hat­te, ob er sich beim Sozialplan leichter tut oder bei seinem Gang in die Öffentlichkeit?

    So sehr ich Trans­parenz liebe: Ich hätte es wohl auch so gemacht, als ver­ant­wor­tungs­be­wusster Betrieb­srat. Bei zwei Ver­ant­wor­tun­gen, die gegeneinan­der ste­hen, nehme ich die mir nähere.

    Aber Hut ab für den kryp­tis­chen Ein­trag, mit dem er doch alles sagt, obwohl es nichts zu sagen gibt…

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Basic HTML is allowed. Your email address will not be published.

Subscribe to this comment feed via RSS

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.