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SoZi 18|09: Schule und Kindheit

Das Son­ntags Zitat (SoZi) dies­mal von einem der ganz weni­gen Kri­tik­er der bürg­er­lichen Bil­dung und der Schule:

Die Schule teilt die Men­schen nach ihren Leben­saltern ein. Diese Ein­teilung beruhrt auf drei Voraus­set­zun­gen, die nicht in Frage gestellt wer­den. Kinder gehören in die Schule. Kinder ler­nen in der Schule. Nur in der Schule kann man die Kinder lehren. Diese ein­fach hin­genomme­nen Voraus­set­zun­gen ver­di­enen ern­stlich in Frage gestellt zu wer­den.

Wir haben uns an Kinder gewöh­nt. Wir haben beschlossen, daß sie zur Schule gehen, gehorchen und wed­er eigenes Einkom­men noch eigene Fam­i­lie haben soll­ten. Wir erwarten von ihnen, daß sie wis­sen, was sich gehört, und sich wie Kinder benehmen. Mit Sehn­sucht oder Bit­terkeit erin­nern wir uns der zeit, als auch wir Kinder waren. Man erwartet von uns, daß wir das kindis­che Benehmen von Kindern hin­nehmen. Fr uns ist die Men­schheit eine Spezies, die zugle­ich dazu ver­dammt und damit geseg­net ist, für Kinder zu sor­gen. Wir vergessen jedoch, daß unser heutiger Begriff «Kind­heit» sich in Wes­teu­ropa erst in hän­ger­er Zeit, in Ameri­ka noch später her­aus­ge­bildet hat. ((Ariès, Philippe: Geschichte der Kind­heit))

Den meis­ten his­torischen Epochen war Kind­heit – im Gegen­satz zu Säuglingsalter, Entwick­lungs­jahren und Jugend – unbekan­nt. Einige christliche Jahrhun­derte hat­ten nicht ein­mal einen Blick für die kör­per­lichen Pro­por­tio­nen der Kin­heit. Die Kün­stler stell­ten das kleine Kind als einen Mini-Erwach­se­nen auf dem Arm sein­er Mut­ter dar. In Europa taucht­en Kinder gle­ichzeit­ig mit den Taschenuhren und den christlichen Geld­ver­lei­h­ern der Renais­sance auf. Vor unserem Jahrhun­dert wußten wed­er Arme noch Reiche etwas von beson­der­er Kinderklei­dung, Kinder­spie­len oder geset­zlich­er Straf­frei­heit von Kindern. Das Sta­di­um «Kind­heit» gehörte zum Bürg­er­tum. Das Arbeit­erkind, das Bauernkind und das Kind des Edel­mannes klei­de­ten sich alle genau so wie ihre Väter, spiel­ten eben­so wie ihre Väter und wur­den wie ihre Väter gehängt.

aus: Illich, Ivan (1977 [1970]):
entschu­lung der gesellschaft. entwurf eines demokratis­chen bil­dungssys­tems, S. 39–40

httpv://www.youtube.com/watch?v=nTlUxNzt5Kw

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