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yellow press Ö1 Mittagsjournal

Ger­ade lief ein Beitrag im Ö1 Mit­tagsjour­nal, der einem öffentlich-rechtlichen Medi­en­haus zur Schande gere­ichen sollte ((Ich schreibe ’sollte’, weil dem freilich nicht so ist, dass so ein Beitrag als Prob­lem, als unwürdig und pein­lich betra­chtet wird. Dieser Beitrag ist erstens bei weit­em nicht das pein­lich­ste und schlecht­este, was der ORF liefert. Bei weit­em nicht. Zweit­ens gere­icht so ein Beitrag dem ORF in so ferne nicht zur ‘Schande’, als sich nie­mand daran stößt. Wir sind Medi­en­müll gewohnt und nehmen kaum Anstoß. Es gibt so gut wie keine Kul­tur der Medi­enkri­tik in Öster­re­ich und die ersten, die darunter lei­den, sind die Qual­itätsme­di­en selb­st, erst in zweit­er Lin­ie wir, die ‘Öffentlichkeit’.)), geschweige denn dem Infora­dio Ö1. Ein Lehrbeispiel für die Pein­lichkeit eines scheit­ern­den Qual­ität­sjour­nal­is­mus.

Elis­a­beth Man­as berichtet trä­nen­re­ich im Stil der yel­low press, der Regen­bo­gen­Presse:

Der Gen­er­al kämpf mit den Trä­nen. Per­vez Mushar­raf nimmt schw­eren Herzens Abschied von der Armee, die ihm 46 Jahre lang Heimat und Fam­i­lie gewe­sen ist.

… erzählt die Jour­nal­istin mit emphatisch mit­füh­len­der Stimme. Dabei sind die obi­gen zwei Sätze ihr Ein­stieg. Die fett her­vorge­hobe­nen Worte betont sie beson­ders, ihr Ton ist nicht sach­lich son­dern eben … yel­low press.

Nur einen Satz von Elis­a­beth Man­as später kommt Mushar­raf im O‑Ton selb­st das erste Mal zu Wort. Seine Stimme ist erstickt und emo­tion­al, hat einen kla­gen­den Ton. Elis­a­beth Man­as spricht leicht zeit­ver­set­zt eine Über­set­zung ins Deutsche und gibt dem Mil­itärchef ‘der besten Armee der Welt’ damit noch mehr Raum für die Auf­führung ein­er Operette:

Die Armee ist mein Leben, meine Lei­den­schaft. Ich bin sehr trau­rig. Aber so ist das Leben und es muss weit­erge­hen.

Dann set­zt Frau Man­as ihren Bericht mit dem Satz fort. “Mushar­raf find­et über­schwengliche Worte”, sagt sie.
Und sie, die Jour­nal­istin, gibt dem Dik­ta­tor nicht nur – vol­lkom­men uniro­nisch – die Bühne für seine über­schwenglichen Worte, sie tut es ihm gle­ich. Hier der Infora­dioBericht, bitte selb­st rein­hören.

Ein Gen­er­al und Dik­ta­tor weint, wir weinen ergrif­f­en mit
Dafür habe ich kein Ver­ständ­nis. Hin­ter solchen Bild­wel­ten der ergrif­f­e­nen und ergreifend­en Großen der Welt ver­schwindet jed­wed­er Blick auf eine Real­ität, die wir so oder so nur als virtuelle Wirk­lichkeit medi­al erfahren.
Vielle­icht kön­nte der trau­rige Armeechef ja Trost bei Köni­gin Sil­via find­en. Solche Bilder wer­den in den imag­inären Uni­versen schnell real­is­tis­ch­er und ’schön­er’ als nur der leis­es­te Ver­such kom­plex­en Ver­flech­tungszusam­men­hän­gen unser­er grauen und nervi­gen Real­ität nachzus­püren.

Ich habe kein Ver­ständ­nis. Natür­lich auch, weil es sich hier um Ö1 und das von mir so geschätzte Mit­tagsjour­nal han­delt. Leserin­nen und Leser des Keller­a­bteils haben schon mit­bekom­men, dass ich der Mei­n­ung bin, Ö1 gehört gehört.
Auch und erst recht im Web­stream das Mit­tagsjour­nal, wenn men­sch um 12.00 keine Möglichkeit hat, es live zu hören. So geht das:
http://oe1.orf.at/konsole/journal?type=mittag

Hey Ihr Pub­lizis­tik-Stu­dentin­nen und Stu­den­ten da draußen
… und Stu­dentIn­nen der Poli­tik­wis­senschaften und Nicht-Stud­is und … EIN AUFRUF.
Wenn ihr euch mit Medi­en und Jour­nal­is­mus auseinan­der­set­zt, wenn ihr auch der Mei­n­ung seid, dass es eigentlich in der Schule stat­tfind­en sollte, solche yel­low press — Beiträge zu zer­legen zu ler­nen, wenn ihr prak­tis­che Medi­en­analyse machen, üben ((Mhm, der Begriff ‘üben’ mag hier pater­nal­is­tisch klin­gen, fällt mir ger­ade auf. Ich ver­steh’ und meine damit jedoch ein­fach, es ist immer Übung, den het­ero­ge­nen und über­bor­den­den Fluss an Infor­ma­tion zu decodieren.)) und doku­men­tieren wollt, wenn euch an qual­i­ta­tiv­er Berichter­stat­tung und einem gewis­sen Stan­dard im Jour­nal­is­mus etwas liegt, dann set­zt euch zusam­men und macht Blogs (und Wikis) mit Anschau­ungs­beispie­len!

Schnei­det mit, schnei­det zusam­men, doku­men­tiert und kri­tisiert, analysiert und disku­tiert. Disku­tieren wir nicht immer nur die Inhalte, die das Medi­en­sys­tem auswählt und vorgibt, son­dern die Tech­niken, wie Sprache einge­set­zt wird, wie Berichte aufge­baut wer­den, Blödsinn als objek­tive Infor­ma­tion durchge­ht, an emo­tionale Kanäle appel­liert und Mei­n­ung gemacht wird, wie ver­schiedene Grup­pen nicht zu Wort kom­men, dubiosen Experten mit ihrer PR aber hofiert wird, wie Aspek­te und Per­spek­tiv­en aus­ge­blendet wer­den etc.

Wo sind die anderen rel­e­van­ten Grup­pen in der Mushar­raf-Seifenop­er?
Was ist das für eine Per­spek­tive, die da ein­genom­men wird? Wo ist da Raum, für rel­e­vante Aspek­te?

Und was hat die Mushar­raf-Seifenop­er mit der Berichter­stat­tung über Gusen­bauer, Schüs­sel, Her­rmann Maier und Veit Sorg­er zu tun?
(“Nichts” wäre nach m.E. die falsche Antwort.)

8 Kommentare zu “yellow press Ö1 Mittagsjournal”

  1. Michael & Barbara B.

    Wir kön­nen uns — auch wenn es bei Frau Man­as, wie auch bei anderen ORF-SprecherIn­nen, ein­mal inhaltliche Aus­rutsch­er geben kann — den hier geäußerten Mei­n­un­gen keines­falls anschließen. Für uns ist ger­ade Frau Man­as Berichter­stat­tung eine erfrischende, gerne gehörte. Wenn Frau Man­as spricht, hat das etwas Beson­deres. Ihr kön­nen wir ZUHÖREN. Was sie sagt, bleibt im Ohr und geht in den Kopf. Frau Man­as ist neben anderen für uns eine erfreuliche Aus­nahme inner­halb der streck­en­weise aufreiben­den und/oder faden Sprach­land­schaft der ORF-Berichter­stat­tung, in der es wahrlich wein­er­liche und pathetis­che, eben­so schlichtweg ermü­dende, oft­mals “SCHEMA-MASSENÖDE”-ERLERNTE Stim­men gibt.
    Weit­er so, Frau Man­as!
    Bei dieser Gele­gen­heit: Was uns aufregt, ist etwa die Selb­s­ther­rlichkeit und Kom­mu­nika­tion­sun­fähigkeit eines gerne über den gold­e­nen Teller­rand seines begren­zten Wel­trah­mens blick­enden, jedoch dabei ständig sein­er­seits unbe­merkt in pein­lich­ste Inkom­pe­ten­zen abrutschen­den Otto Brusat­ti. Da kommt keine Freude auf …

    MfG M. & B. B.

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  2. ernst

    ich sehe (bzw. höre) bei frau dr. man­as schon seit län­gerem generell ein prob­lem, und zwar in der beto­nung und aussprache ihrer beiträge. hier sollte von seit­en des orf eine schu­lung ange­set­zt wer­den. ich glaube, wenn sie bess­er fürs mikro­fon-sprechen geschult wäre, dann hätte sie auch bessere und unmissver­ständlichere beto­nun­gen. das mit den beto­nun­gen dürfte ein grundle­gen­des prob­lem der­jeni­gen nachricht­en­sprech­er sein, die früher als ver­ant­wortliche redak­teure tätig waren und zu beginn der 90er jahre fürs mikro­fon-sprechen geschult wur­den. neben frau dr. man­as etwa der bere­its ver­stor­bene georg schall­gru­ber oder etwa dr. fer­di­nand olbort, der auch heute noch bei nachricht­en zu hören ist und mein­er ansicht nach auch eine etwas prob­lema­tis­che beto­nungs-art hat.
    mfg, ernst

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  3. hans christian

    danke für den hin­weis. kor­rigiert.

    (aber ich hab jet­zt ein schlecht­es gewis­sen, weil ich ziem­lich unmissver­ständlich nichts halte von dem, was der koll. man­gott da schreibt.
    bin ich ver­biestert intol­er­ant? 😕 )

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  4. mister m

    Der ORF ist schon seit langem zum RTL-Niveau abge­sunken. Ö1 ist noch eine let­zte Aus­nahme. FM4 ist extrem wichtig, aber die Wer­bung auf FM4 wird immer mehr und immer unerträglich­er.

    Ich finde, die Berichter­stat­tung zum Rück­tritt von Musharaf als Armeechef erin­nert sehr an das, was man “offizielle Geschichtss­chrei­bung” nen­nt. Die Geschichte der Herrsch­er.

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  5. hans christian

    danke für link und bericht. schöne diskus­sion.

    schon lustig und selt­sam, dabei wieder über koll. man­gott zu stoßen. die virtuelle bekan­ntschaft mit ihm/seinem blog hat mich auch schon zu einem ein­trag ver­an­lasst.
    kennst du dessen blog?

    die ‘empathis­che über­drehtheit’ kommt mir in der medi­en­land­schaft all­ge­gen­wär­tig vor. dabei kon­sum­iere ich kaum noch, wo sie sys­tem ist.
    ich frag mich, was dahin­ter steckt? und ver­mute, dass auch hier der neolib­er­al­is­mus mit sein­er konzen­tra­tion nur auf das indi­vidu­um, sein­er nega­tion von struk­tur, sys­tem und zusam­men­hän­gen seine wirk­samkeit zeigt. also mal als these aus der hüfte geschossen.
    (samt der auswirkung ein­er ziem­lichen wis­senschafts­feindlichkeit.)

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