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SoZi 25|09: Aberkennung der Menschenwürde

Let­zte Woche aus­ge­fall­en, diese Woche ohne weit­ere Ein­leitung, das Son­ntagsz­i­tat (SoZi) der Woche.
Dies benötigt freilich keine beson­dere Ein­leitung des Warum, Wer, Wieso ger­ade jet­zt

Dehu­man­isierende Def­i­n­i­tio­nen des Fein­des sind nichts Neues in der Men­schheits­geschichte und schw­er­lich ein eigen­tüm­lich­es Merk­mal der mod­er­nen Zeit. Sie haben die meis­ten Kriege begleit­et, vielle­icht jeden Krieg. Während der Schlacht waren sie wahrschein­lich unverzicht­bar. Der Sol­dat mußte seine Aver­sion zu töten und zu ver­stüm­meln unter­drück­en, wenn er nicht selb­st getötet oder ver­stüm­melt wer­den wollte. [..]

Die alte Tra­di­tion, den Feind in der Schlacht zu dehu­man­isieren, die das Aufkom­men der mod­er­nen Zeit sichtlich intakt über­lebt hat, ist gle­ich­wohl, wie alles übrige, durch die mod­erne Organ­i­sa­tion und Tech­nolo­gie gründlich rev­o­lu­tion­iert wor­den. Der Wettstre­it indi­vidu­eller Fähigkeit­en in der Schlacht .. wurde durch eine Massen­ver­nich­tung aus der Ferne erset­zt. [..] Mod­erne Waf­fen erfordern eine voll­ständi­ge Aus­löschung der moralis­chen Iden­tität ihrer Opfer, bevor sie deren Kör­p­er ver­nicht­en.

Paul Fussel, Englis­ch­pro­fes­sor in Penn­syl­va­nia und ein Vet­er­an des Paz­i­fik-Krieges, erin­nert sich, daß »unter Amerikan­ern die weitver­bre­it­ete Überzeu­gung herrschte, daß die Japan­er wirk­lich unter­men­schliche, kleine gelbe Biester seien und die pop­uläre Bilder­sprache sie als Läuse, Rat­ten, Fle­d­er­mäuse, Vipern, Hunde und Affen beschrieb«. Armee- und Marine-Jour­nale schrieben von der »gigan­tis­chen Auf­gabe der Aus­rot­tung« .. . Die Dehu­man­isierung des Fein­des wurde natür­lich von bei­den Seit­en betrieben. Ihre Fort­dauer auf bei­den Seit­en, das gemein­same Vergessen der Men­schlichkeit auf der anderen Seite macht­en die Mas­sak­er möglich – wie sie auch den Teil­nehmern erlaubten, sie eher als san­itäre Oper­a­tio­nen denn als Mord anzuse­hen. [..]

Trotz all sein­er mod­er­nen Inno­va­tio­nen bleibt der Krieg .. eine Sit­u­a­tion, in der die Geg­n­er das Recht auf Selb­st­de­f­i­n­i­tion behal­ten. Der Feind scheint objek­tiv ein Feind zu sein, wohinge­gen mein Ver­such, ihm sein Recht, durch moralis­che Gebote geschützt zu sein, zu bestre­it­en, als eine Übung in Reziproz­ität erscheint. Anders beim Genozid. Hier wird das Objekt der Aus­rot­tung ein­seit­ig defin­ert. Kein­er­lei Sym­me­trie wird in irgen­dein­er Form angewen­det oder unter­stellt. Man mag seine Phan­tasie noch so anstren­gen, die andere Seite ist kein Feind, son­dern ein Opfer. Es ist für die Ver­nich­tung freigegeben, weil die Logik der Ord­nung, die die stärkere Seite zu etablieren wün­scht, keinen Platz für seine Anwe­sen­heit hat. [..]

Wer erk­lärt, daß eine bes­timmte Kat­e­gorie von Men­schen keinen Platz in der zukün­fti­gen Ord­nung habe, sagt damit, daß diese Kat­e­gorie hoff­nungs­los ver­loren ist – nicht reformi­er, angepaßt oder gezwun­gen wer­den kann, sich anzu­passen. Der Andere ist kein Sün­der, der seinen Lebenswan­del noch bereuen oder verbessern kann. Er ist ein erkrank­ter Organ­is­mus, »sowohl krank wie ansteck­end, beschädigt wie beschädi­gend«. ((Gilman, S.L.: Dif­fer­ence and Pathol­o­gy, Stereo­types of Sex­u­al­i­ty and Mad­ness, 1985; S. 130)) Für ihn ist nur eine chirur­gis­che Oper­a­tion geeignet; noch bess­er Ver­ga­sung und Vergif­tung. Er muß zer­stört wer­den, damit der Rest des Gesellschaft­skör­pers siene Gesund­heit behält. Seine Ver­nich­tung ist eine Sache der Medi­zin und der Hygiene.

[..] Den Anderen als Ungeziefer zu definieren stellt tief­sitzende Äng­ste, Wider­willen und Ekel in den Dienst der Aus­rot­tung. Aber es bringt auch, und mit viel weitre­ichen­deren Fol­gen, den Anderen in eine große geistige Dis­tanz, auf die hin moralis­che Rechte nicht länger erkennbar sind. Sobald er der Human­ität beraubt und als Ungeziefer neu definiert ist, ist der Andere nicht länger ein Objekt moralis­ch­er Bew­er­tung.

[..] Aber, fragt sie, »was hätte er denn machen sollen? Er hätte sich dem Teufel verkauft, um Geld für sein Insti­tut und seine Forschung zu bekom­men.« ((Vgl. Müller-Hill: Tödliche Wis­senschaft; S. 131)) Und er verkaufte sich tat­säch­lich dem Teufel, und zwar bedenken­los. Schließlich vertei­digte er ja nur die Sache der Wis­senschaft, ihre Ressourcen, ihren Fortschritt, die Frei­heit der Forschung – und was er als Wis­senschaftler tat, war, wie die Wis­senschaft selb­st, objek­tiv und deshalb moralis­chen Ein­wände gegenüber immun; es war gar kein moralis­ches Prob­lem. [..]

[..] Wis­sensc­ahftler begrüßen Objek­tiv­ität. Sie lehnen Wer­turteile ab und ver­mei­den sie. Wenn sie erst ein­mal soweit sind, ist der Rest eine Sache instru­menteller Ratio­nal­ität. Wenn das Töten von Geis­teskranken ökonomisch sin­nvoll und tech­nisch mach­bar ist, warum um Him­mels willen sollte man es nicht tun? Oder warum sollte man die Chan­cen zur Förderung der Wis­senschaft dadurch min­dern, daß man sich weigert, das »Juden- und Zige­uner­ma­te­r­i­al« als Ver­such­stiere zu behan­deln?

Unter­stützt wird diese hal­tung dadurch, daß mod­erne Wis­senschaftler selb­st in ein­er bürokratis­chen Struk­tur organ­isiert sind mit ihrer ver­tikalen und hor­i­zon­tal­en Arbeit­steilung .. . Sel­ten beobacht­en die Experten die let­zten Kon­se­quen­zen ihrer Hand­lun­gen. Noch sel­tener ver­fol­gen sie ihre Entschei­dun­gen bis zum logis­chen Ende. Ihre Beiträge stellen nur Teil­funk­tio­nen in einem kom­plex­en Net­zw­erk ver­woben­er Aktiv­itäten dar; als Funk­tionäre, als Ein­heit­en in ein­er Total­ität, die viel größer ist als ein einzel­ner von ihnen, fühlen sie sich emi­nent aus­tauschbar; wenn sie nicht dieses oder jenes tun, tut es irgen­dein ander­er. Auf diese Weise wird die per­son­al­ität ihrer Hand­lun­gen zusam­men mit der per­sön­lichen Ver­ant­wor­tung so gut wie aus­gelöscht. Vor allem stellen sie sich kaum jemals den Endergeb­nis­sen. Wenn sie wollen, kön­nen sie diese Resul­tate sog­ar ignori­eren.

aus: Bau­man, Zyg­munt (2005 [1991]):
Mod­erne und Ambivalenz. Das Ende der Ein­deutigkeit; S81f.

4 Kommentare zu “SoZi 25|09: Aberkennung der Menschenwürde”

  1. Bodensatz der Gesellschaft « Santa Precaria

    […] Tech­niken der Stig­ma­tisierung sind immer wieder die sel­ben: sprach­liche Kat­e­gorisierung und Seg­re­ga­tion und Enthu­man­isierung, Zuschrei­bung von Min­der­w­er­tigkeit. So entste­ht die Legit­i­ma­tion mit diesen im gle­ichen Atemzug pauschal­isiert kon­stru­ierten Grup­pen […]

    Antworten
  2. /sms ;-)

    finde es den­noch wichtig zu sehen, dass grossväterchen zyg­munt insb. an den holo­caust dachte. die zeit ist aber nicht ste­hen geblieben. die mod­erne ist die grosse speza­l­istin des trennens/teilens/explizierens/(realisierens). und so hat sich auch die form des ter­rors ele­gan­tisiert.

    es geht ja immer darum, das zwei genau gle­iche tat­en als “böse/falsch” — “gut/richtig” unter­schieden wer­den kön­nen. (das sog. (bazon) brocksche dik­tum:) jemand töten ist falsch. im krieg nicht töten ist falsch. ban­den mäs­sig herumziehen ist mafia. wenn der (heutige) staat das gle­iche tut ist supr. (where is my vote?!? 😉 etc.

    unter der aufgek­lärten mod­erne hat sich diese unter­schei­dung ganz sen­sa­tionell weit­er­aus­d­if­feren­zieren kön­nen. peter slo­ter­dijk hat in spähren­band III, ab kapi­tel “luft­beben” eine — wie ich das nen­nen würde — “kleine geschichte der ele­gan­tisierung des ter­rors” ver­fasst. logo: es geht um die geschichte vom gas.

    zuerst musste ein sol­dat einen men­schen abstechen. auge in auge.
    danach musste er ihn bloss noch tre­f­fen mit dem gewehr.
    jet­zt genügt das drück­en eine roten knopfes… (siehe zyg­munt 😉
    dazwis­chen aber:
    da wurde “gift­wolk­ende­sign” (slo­ter­dijk, s.119) betrieben. zuerst auf dem freien feld. (was ziem­lich doof war. weil wenn der wind kehrt, sind die eige­nen leute… 😉
    danach wurde das gas im geschlosse­nen *keller­a­bteil* einge­set­zt. das opfer hat sich qua­si selb­st umge­bracht. die gin­gen doch duschen, odr? und atmeten selb­st…

    und doch! logo! es ging weit­er…

    in der dien­stleis­tungs­ge­sellschaft stellt sich jed­er men­sch fröh­lich lächel­nd zum auss­chluss bere­it. wer lei­det, zeigt an, dass sein busi­ness­plan sub­op­ti­mal ist. es kann gefördert und geholfen wer­den. end­los. prinzip­iell. bis der men­sch ver­duftet, so flex­i­bel gewor­den ist, wie liq­ui­diert. sich auflöst. in luft. wie gas… nicht nur der begriff der “frei­heit” hat sich total in sein totales gegen­teil verkehrt… (ich denke, dass hat die bour­dieu-lin­ie gut hingekriegt. weniger robert cas­tel. sein let­ztes kapi­tel in die “meta­mor­phose der sozialen frage” stam­melt. aber bei luc boltanski/éve chi­a­pel­lo sind wenig­stens die ver­drehung der worte in ihr gegen­teil nachgeze­ich­net.

    der lan­gen rede kurz­er sinn:
    — wir soll­ten uns daran machen, die huch!grossen pro­fes­sor bloss noch zu nutzen, die jet­zt-zeit in ihrem schreck­en zu erah­nen. der holo­caust war nicht der grösst­mögliche schreck­en der men­schheit. es ging weit­er. die alt68er, welche in die totale gegen­rich­tung ihrer väter und müt­ter gelaufen sind, haben es auch bloss in einen näch­sten total­i­taris­mus geschafft. über­raschung?

    Antworten
  3. RokkerMur

    Wenn du und ich mich daran hal­ten — (zB) Nazis nicht als Ungeziefer zu beze­ich­nen -
    machen es Mil­lio­nen (zu Recht) trotz­dem.
    Ich habe die “ersten maschinellen Massen­mörder” noch nie oder ganz sel­ten als Ungeziefer beze­ich­net, werde es aber in Zukun­ft tun.
    Dir eine gute Woche.

    Antworten

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