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Mythen zum Wahlausgang NRW’08

So, bene, die Wahl ist geschla­gen. Die ÖVP ist geschla­gen. Schüs­sel ist geschla­gen. Fein. Fehlt freilich noch Barten­stein. Kann das wer übernehmen? Ja? Bitte!?
Molti ren­nt wie ein geschla­gen­er Hund herum. Die Grü­nen erge­hen sich darin, wie geschla­gene Hunde herumzuren­nen. Und die ganze Finanz­mark­t­logik, die jet­zt jahrzehn­te­lang auf wöl­fisch gemacht hat, die ist jet­zt ein geschla­gen­er Hund.

Und der Rest, wir, sind geschla­gen mit ido­tis­chen bis dümm­lichen “Aufar­beitun­gen des Wahlergeb­niss­es”. Mir geht’s, aller Zurück­hal­tung in der Aufar­beitungs-Teil­habe zum Trotz, wie Elis­a­beth Nemeth,

Ehrlich gesagt, mich ödet die bestürzte Fas­sungslosigkeit, mit der die Wahler­folge von FPÖ und BZÖ kom­men­tiert wer­den, inzwis­chen an.

Das ist jet­zt sehr höflich for­muliert. 🙄

Also, höch­ste Zeit für “WoW”! Genau, das heißt

Worst of Wahlausgangsmythen ’08

Mein ganz sub­jek­tives Rank­ing der däm­lich­sten wen­ngle­ich hart­näck­i­gen Mythen, was denn da am Son­ntag, dem 28. Sep­tem­ber 2008 nun eigentlich wirk­lich passiert sei.

Und wir gehen ohne weit­ere Umschweife und in gestürzter Rei­hen­folge in medias res race:

Platz 3:

«Fast ein Drit­tel der Öster­re­icherIn­nen hat recht­sradikal gewählt.»
Wahlweise auch «Ein­er von drei Öster­re­ich­ern ist ein Recht­sradikaler.» oder «Ein Drit­tel der Öster­re­ich­er ist rechts».
[xrr rating=4.25/5] Also, um das mal ganz schrit­tweise aufzu­dröseln. Und langsam zum Mitkom­men:

Östere­ich hat gut 8 Mil­lio­nen Ein­wohner­In­nen. Sollen schon 8,3 Mille sein, aber lassen wir’s gut sein.
Ich sag mal, rech­nen wir mit rund 8.000.000 und nen­nen wir die mal “Öster­re­icherIn­nen”. Fra­gen kön­nen wir sie ja nicht alle.

Ein Drit­tel von 8.000.000 wären dann 2,6 Mil­lio­nen Öster­re­icherIn­nen.
Die braune FPÖ und das orange BZÖ haben zusam­men, nach heutigem Auszäh­lungs­stand: 839.520 plus 511.547 macht gesamt 1.351.067. Das sind, nur so neben­bei, weniger Stim­men als die SPÖ erre­icht hat und v.a. gut ein paar weniger als die oben ger­ade aus­gerech­neten 2,6 Mil­lio­nen. Näm­lich ger­ade mal gut die Hälfte. ((Ja, immer noch ver­dammt viel. Aber das war ja wohl nicht der Punkt, oder?))

Ok. ok. ok., Du willst mit Wahlberechtigten rech­nen. Gut, warum dann alle nicht-wahlberechtigten mitver­haften wer­den, weiß ich zwar nicht, aber gut gut gut.
Das wären dann 21,3% und nicht ein 33,3% aller Wahlberechtigten zur NRW 08, die da FPÖ oder BZÖ gewählt haben. Oder 27,8% der abgegebe­nen Stim­men.

Dann, und das macht jet­zt auch noch mal einen wichti­gen Unter­schied zum obi­gen Mythos: Wenn 18% eine recht­sradikale Partei wählen, dann heißt das nicht, dass diese gut 830 Tausend Per­so­n­en selb­st recht­sradikal sind. Sie haben nicht mal recht­sradikal gewählt, son­dern eine recht­sradikale Partei gewählt. Das ist nicht das Gle­iche, Oida Bachoi­da!
Wenn Du Dir einen “Hol­ly­wood Block­buster” anschaust, dann bist Du deswe­gen ja auch nicht sofort eine gelang­weilte min­derbe­mit­telte Unter­hal­tungsin­dus­triekon­sumentIn, die mit der Erzählstruk­tur eines franzö­sis­chen 70er Jahre Films über­fordert wäre, oder?
Und wenn Du in pri­vate Altersvor­sorge investiert hast, die viel­be­wor­bene dritte Säule der Pen­sionsvor­sorge, und monatlich nette Beträge an die Finanzwelt ablöhnst, dann bist Du deswe­gen schließlich auch nicht sofort ein hoff­nungslos­er Naivling, dem (oder der) ein Vertreter alles erzählen kann und Du machst dann auch sofort alles mit.

Hä?

Platz 2:

«Die große Koali­tion ist ganz klar abgewählt wor­den.»
Wahlweise auch «Der Wäh­ler hat die große Koali­tion abgewählt» oder «Die Wahl hat gezeigt, nie­mand will wieder eine große Koali­tion».
[xrr rating=4.5/5] Sehr geehrte Kom­men­ta­torIn­nen (Beruf Jour­nal­istIn oder Poli­tik­erIn) und Möchte­gern-Exper­tIn­nen. Das let­zte Mal als ich das über­prüft hat­te, da standen doch tat­säch­lich nur und auss­chließlich die zuge­lasse­nen Parteien bei der Nation­al­ratswahl zur Wahl. Stim­mzettel mit in irgen­dein­er Form angegeben Koali­tions- oder Regierungskon­stel­la­tion­swün­schen sind alle­samt ungültig und wer­den nicht als gültige Stim­men gezählt. Sor­ry, aber das musste Euch jet­zt mal wer sagen.
Der Wäh­ler, vul­go die Wäh­lerIn­nen, kön­nen eine Koali­tion gar nicht abwählen. Nochmal: Sor­ry. Wohl aber kann sie aufgekündigt wer­den. Das allerd­ings, das hat zulet­zt in Öster­re­ich immer die ÖVP gemacht, die “der Wäh­ler”. Beziehungsweise war’s meis­tens der Schüs­sel in ein­er sein­er Verkör­pe­run­gen. Der hat zwar auch das aktive Wahlrecht, aber das habt ihr ja dann doch nicht gemeint.

Übri­gens liebe unglück­liche Reit­er unzulänglich­er Meta­phern, das let­zte mal, dass ich geschaut hab, da  hat­ten die bei­den Ex-Groß­parteien zwar nichts mehr groß­parteien­haftes mehr an sich, aber sie sind immer noch die bei­den stim­men­stärk­sten Parteien. Von ein­er abgewählten Rot-Schwarzen Koali­tion kön­nen wir reden, wenn sie sich nicht mehr aus­ge­ht, ok.? Jet­zt geht sie sich nicht nur immer noch aus, son­dern sie wird immer noch die sta­bil­ste Koali­tion sein, auch wenn die Zwei­drit­telmehrheit mal Flöten gegan­gen ist. Wie gesagt, sind immer noch die bei­den stim­men­stärk­sten Parteien. Warum das so ist, das ist jet­zt ein anderes Bier.

So oder so hinkt eine Behaup­tung à la «Die Wahl hat gezeigt, nie­mand will wieder eine große Koali­tion» sowieso und in jedem Fall. Weil, selb­st wenn es so wäre, dann wärt ihr Kom­men­ta­torIn­nen die Let­zten, die wis­sen, was andere wollen. Es ist ja nicht so, dass ihr einen Tau hät­tet. Soll auch kein Vor­wurf sein. Wie soll sich das auch aus­ge­hen, sich um brauch­bare Kat­e­gorien, sin­nvolle Aus­druck­sweisen und wirk­lichkeit­sna­he Rela­tio­nen küm­mern, wenn man in so einem selb­stre­f­eren­ziellen Sys­tem einges­pan­nt und nir­gends ern­sthaft gefordert ist.

Platz 1:

«Die Nation­al­ratswahl brachte einen Recht­sruck mit sich.»
Wahlweise auch «Öster­re­ich ist am Wahlt­ag nach rechts gerückt» oder «Das ist ein deut­lich­er Recht­sruck».
[xrr rating=5/5] Hal­lo? Hal-lo? Guten Mor­gen? Wo waren wir denn die let­zen Jahre, in Öster­re­ich nicht, oder?
Ehrlich, geht’s noch?
Wenn dem so wäre, wie viel weit­er rechts als vor einem Jahr — ich sag nur “Plat­ter: Asy­lanten sind sel­ber schuld!”, “Arig­o­na”, “Daham statt Islam”-Frem­den­recht beschlossen durch ÖVP und SPÖ sowie “3 Bier­rrr bitte” -, also wie viel weit­er rechts ist Öster­re­ich denn dann am 28.9.08 jet­zt plöt­zlich gerückt? Also gegenüber vorher. Wie viel weit­er rechts ist Öster­re­ich jet­zt gerückt seit 1999 und 2000. Ich sag nur Don­ner­stags­demos und da gab es doch auch sich­er so etwas wie einen Anlass oder? Wie viel weit­er rechts als Knit­telfeld ist Öster­re­ich jet­zt? Knit­telfeld Ost?

Nur mal so ganz neben­bei: Heißt das jet­zt eigentlich, dieser “Recht­sruck” näm­lich, dass Öster­re­ich schon so rechts ist wie Kärcher-Sarkozy? Oder rechts an Berlus­coni-Ital­ien herangerückt? Gar schon das Erdäpfel-Kaczyńs­ki Polen rechts über­holend? Hab ich was nicht mit­bekom­men und wir haben bere­its die Hartz IV-Refor­men über­nom­men? Wenn, dann hab ich s wahrschein­lich ver­passt, weil ich immer zu den Jag­den in den Straßen zuschauen geh, jaja, die ‘braune Hun­dertschaft treibt eine Gruppe Inder vor sich her und prügelt sie tot’-Happenings in Wien und dem ganzen öster­re­ichis­chen Osten.

Wenn da in Öster­re­ich was rechts­gerückt ist, dann sind das die SPÖ und seit Schüs­sel vor allem mal die ÖVP. Die aber na hal­lo. Nur halt nicht vor ein­er knap­pen Woche son­dern seit Jahren. Alles mögliche war da schon die län­gere Zeit ver­rückt rechts: die Indus­triel­len­vere­ini­gung und ihre Pro­tag­o­nis­ten, das öster­re­ichis­che Fernse­hen mit großer Tra­di­tion im pseu­do-heimatlichen Schun­keln und dem unschlag­bar vertrot­tel­ten Sportre­portern, die Uni­ver­sität­srätIn­nen, Fach­hochschul­rätIn­nen und über­haupt ein Gros der Experten­rätIn­nen der Schwarzblauen Ära, gestörte Chefredak­teure der Presse damals wie heute etc.

Und wenn wir ger­ade dabei sind, diese nie enden wol­len­den Hor­den an “Promis”, von denen kaum wer eine Ahnung hat, inwieferne sie Promis seien, die sind auch nicht neuerd­ings zu Hauf “rechts”. Die waren nur bis vor ein Jahrzehnt keine Promis. Weil es das bei uns in Ö noch nicht gegeben hat. Aber das nur neben­bei. Hätt’s die damals schon gegeben, dann wäre das genau­so wie heute. In den USA wird men­sch als so ein Pro­mi schnell mal Vizepräsi­dentschaft­skan­di­dat. In dem Sinne, was solls?

Also, merken: das mit Recht­sruck ist ein schön­er Hum­bug!
In Ö gin­gen sich seit den 1980ern keine par­la­men­tarischen Mehrheit­en links der Mitte mehr aus. Ö ist seit nahezu schon JEHER rechts. Der Doll­fuss ist im Par­la­mentsklub der VP’ler nicht erst gestern aufge­hängt wor­den und solche Vögel wie Kurt Krenn oder Groer waren nicht die ersten Klerikalfaschis­ten in dem Land.

Knapp den Cut verpasst

Die Dichte an däm­lichen Mythen ist momen­tan so dicht, dass es viele würdi­ge Ammen­märchen nicht in die top 3 geschafft haben. Hier nur eine Auswahl der­er, die knapp gescheit­ert sind, aber auch würdig wären:

  • die FPÖ hat einen sen­sa­tionellen Wahlsieg einge­fahren
  • Wir Grüne dür­fen die Recht­en nicht dämon­isieren und müssen unsere Ansätze ein­fach ein­fach­er und knack­iger rüber­brin­gen ((Bitte, BITTE, kann jemand das übernehmen und ein FPÖ-Plakat hernehmen und ein­fach die rot-weiß-rot Streifen durch die Regen­bo­gen­fahne erset­zen und den Stra­che durch eine grüne Grin­serIn und den Spruch durch “Crit­i­cal mass statt SUV-PS” oder so? Bitte? Hat nie­mand die Zeit? das wäre dann knack­ig, oder?))
  • wenn es jet­zt wieder eine “Große Koali­ton” gibt, dann ist die FPÖ bei der näch­sten Wahl stim­men­stärk­ste Partei
  • Schwarz-Blau-Orange wäre eine “bürg­er­liche Mehrheit”
  • Schüs­sel hat die Recht­en umarmt und dadurch gebändigt (da stimmt nur die Hälfte … nicht)
  • Wahlkampf-Per­for­mance und Prozent der erhal­te­nen gülti­gen Stim­men ste­hen in einem direk­ten Zusam­men­hang
  • das Sys­tem Schüs­sel ist zu Ende (das mag sog­ar stim­men, aber das glaub ich erst, wenn Schüs­sel UND Barten­stein UND die IV in der öster­re­ichis­chen Poli­tik so gut wie nichts mehr zu melden haben)
  • Auswan­dern hil­ft (damit Öster­re­ich Kärn­ten wird?)
  • die Grü­nen hät­ten ohne VdB noch schlechter abgeschnit­ten
  • Es reicht! 😆

Einen Ehren­preis hat der Mythos/die Idi­otie der His­torik­erin Brigitte Hamann ver­di­ent (näm­lich dop­pelt: weil die Argu­men­ta­tion schlicht grandios schwachsin­nig, undemokratisch, unwürdig ist und weil sie von ein­er His­torik­erin kommt):

Feuer­hak­en wehrt sich eben­falls gegen einen Mythos:

Bitte, wenn ich den däm­lich­sten Mythos, den zweit­däm­lich­sten oder drittdäm­lich­sten überse­hen oder falsch gerei­ht haben sollte … es ist eine sub­jek­tive Wer­tung und ich bin sowieso ein kranker Link­er Stinker.

Aber wenn tat­säch­lich UIn­stim­migkeit­en beste­hen soll­ten oder ein Ammen­märchen hier zu Unrecht nicht auf­scheinen sollte, ein­fach als Kom­men­tar posten.

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